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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Will registrierte fast unbewusst, dass sie ein schlichtes, dunkelgraues Kostüm trug, und mehr als nur beiläufig, wie sehr ihn ihr plötzliches Auftauchen erschreckt hatte. In Gedanken rief er sich zur Ordnung. Er begann, eine gehörige Paranoia zu entwickeln, und auch wenn er vermutlich jeden Grund dazu hatte, konnte er sich das im Moment wirklich nicht leisten.
    So hastig, dass sein grundloses Zögern zuvor dadurch noch mehr betont wurde, zwang er sich zu einem Lächeln und machte eine Kopfbewegung, die irgendwo zwischen einem Nicken und einem hilflosen Achselzucken angesiedelt war. »Nein, danke«, sagte er. Dann grinste er noch ein bisschen breiter – und ganz bewusst verlegen – und verbesserte sich: »Oder vielleicht doch. Ich kenne mich hier nicht aus. Sie vielleicht?«
    »Das kommt ganz darauf an, was Sie suchen«, antwortete sein goldhaariges Gegenüber.
    »Wenn ich das wüsste«, sagte Will. Die junge Frau blickte fragend, und Will fuhr mit einer hilflosen Geste fort: »Ich kenne mich mit Kinderkleidung nicht besonders gut aus, wissen Sie? Meine Nichte ist überraschend zu Besuch gekommen, und Sie wissen ja, wie Kinder sind. Sie hatte noch nicht einmal zu Ende gefrühstückt, da hat sie sich schon das erste Glas Kakao über das Kleid gekippt. Und ihr Koffer ist noch am Bahnhof.«
    »Und jetzt suchen Sie irgendetwas, um sie auf die Schnelle wieder stadtfein zu machen«, vermutete die junge Frau. Sie lächelte verständnisvoll. »Wissen Sie ihre Größe?«
    »Hundertvierundsechzig … glaube ich«, sagte Will.
    »Wie alt ist denn die Kleine?«
    »Zwölf«, antwortete Will, hob erneut die Schultern und rettete sich wieder in ein verlegenes Lächeln. Wenn er den Gesichtsausdruck der jungen Frau richtig deutete, sah er damit ziemlich dämlich aus. Aber so fühlte er sich auch. »Vielleicht auch elf«, gestand er. »Aber sie ist groß für ihr Alter.«
    »Dann könnte hundertvierundsechzig sogar schon zu klein sein«, sagte die junge Frau. »Wenn Sie nur etwas als Notlösung suchen, würde ich ein einfaches Sommerkleid empfehlen. Die sind im Moment im Angebot – da drüben an der Wand, sehen Sie?«
    Wills Blick folgte ihrem ausgestreckten Arm. Er sah absolut nichts, aber er nickte dennoch, wandte sich mit einem dankbaren Lächeln um und ging los, wobei er mit einigermaßenem Erfolg bemüht war, jede Unregelmäßigkeit in seinem Gang zu verbergen.
    Anscheinend hatte er die Hilfsbereitschaft der jungen Frau aber unterschätzt, denn er hatte die Wand mit den Sonderangeboten, auf die sie ihn aufmerksam gemacht hatte, noch nicht ganz erreicht, als sie auch schon wieder zu ihm aufschloss und sich mit einem Blick an ihn wandte, den er unmöglich ignorieren konnte, ohne sie zu brüskieren. »Ich habe es gefunden«, sagte er, »danke.«
    »Ich will mich nicht aufdrängen«, sagte die junge Frau, fast als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Aber Sie sehen irgendwie … hilflos aus, wenn ich ehrlich sein soll.«
    »Ich habe nicht sehr viel Erfahrung im Umgang mit Kindern«, gestand Will. »Um ehrlich zu sein: gar keine.«
    »Das sieht man«, antwortete sie mit einem melodischen Lachen. Irgendetwas an ihr verwirrte Will mit jeder Sekunde mehr. Mit Sicherheit war sie nichts anderes als eben eine x-beliebige junge Frau, der seine Hilflosigkeit aufgefallen war und die vielleicht die frühe Stunde nutzen wollte, um die gute Tat des Tages hinter sich zu bringen, aber sie war zugleich auch mehr. Etwas an ihr irritierte Will mit jedem Moment stärker. Irgendetwas an ihr war einfach falsch.
    Und dann erkannte er, was ihn an ihr so befremdete: Sie stammte aus der falschen Zeit. Ihre Frisur, ihre Kleidung, ihr schmales, zerbrechlich wirkendes Gesicht, das dezente Make-up, das ihre Verwundbarkeit noch zu betonen schien, selbst der Blick ihrer Augen, ihre Bewegungen und ihre Art zu reden machten sie zu einer Figur aus einem Siebziger-Jahre-Film; ein junges Mädchen, das es in eine Hippie-Kommune verschlagen hatte. Will hätte sie sich gut mit einer Gitarre in der Hand abends am Lagerfeuer vorstellen können, wo sie Lieder von Joan Baez sang und ab und zu an einem Joint zog. Es war verwirrend und ein bisschen beunruhigend.
    »Das da oben.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf ein Kleid, das zu hoch hing, als dass sie es erreichen konnte. Selbst Will musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um den Bügel mit dem ausgestreckten Arm fassen zu können. »Das sieht doch hübsch aus.«
    Will hatte nichts anderes erwartet nach dem

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