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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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harmlose Feuer plötzlich mit einer Angst, der er kaum Herr werden konnte. Auf einmal musste er an den vergangenen Abend denken, an die Wärme, die er gespürt hatte, als er die Hand auf den Stein der Kellermauer legte, und an das unheimliche Gefühl, darin etwas Lebendiges, Wütendes zu spüren; etwas, das eingesperrt war und mit immer größerer Wut und Wildheit an den Mauern seines Gefängnisses zerrte.
    Unsinn!
    Es waren gierige Flammen, die nach ihm griffen, die sich um ihn wanden, die ihm die Luft zum Atmen nahmen, und von einem Moment auf den anderen verschwamm die Umgebung vor seinen Augen und machte einer anderen Szenerie Platz, einem Café ähnlich wie diesem hier, doch einfacher, altmodischer, düster gehalten; die Beleuchtung war auf ein Mindestmaß heruntergeregelt, die kaum noch die Umgebung erkennen ließ. Mein Blick fiel auf das Kalenderblatt, und ich begriff, warum ich so fror, als ich den geschwungenen Sütterlin-Schriftzug 11. Februar las, und ich dachte an Clara, die, hoffentlich, jeden Moment auftauchen würde, damit wir endlich in den Zug steigen konnten, um aus der Stadt herauszukommen an diesem unseligen Tag dieses fürchterlichen, dieses schon längst verlorenen Krieges …
    Unsinn!
    Will schlug den Deckel des Zippo mit der linken Hand herunter und erstickte die Flamme damit, und das mit solcher Wucht, dass ein paar der anderen Gäste überrascht ihr Gespräch unterbrachen und in seine Richtung blickten. So viel zu seiner Überzeugung, hier nicht aufzufallen.
    Ohne die Zigarette angezündet zu haben, steckte er das Feuerzeug wieder ein, krümelte die Marlboro mit der linken Hand in den Aschenbecher und wandte sich mit steinernem Gesicht ganz zum Fenster um. Einige der anderen Gäste starrten ihn immer noch an, er spürte es, aber er widerstand der Versuchung, sich herumzudrehen und ihren Blicken zu begegnen. Sein Herz klopfte, und seine Finger zitterten immer noch so stark, dass er jetzt die Hände nebeneinander und mit großer Kraft auf die Tischplatte presste, um sie zu beruhigen, aber so erschreckend der kleine Zwischenfall auch gewesen war, er hatte ihm gezeigt, was das wirkliche Problem war. Es war weder Reimann noch Sven und seine verbrannten Freunde, und es war auch nicht Duffy – es war er selbst. Irgendetwas war gestern Abend in diesem Keller geschehen, das ihn den Bezug zur Wirklichkeit hatte verlieren lassen. Will bildete sich nicht ein, ein Mensch zu sein, der allzu fest mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität stand, aber er war auch kein abgehobener Spinner, der an Spuk, paranormale Phänomene oder irgendeinen anderen Mist in dieser Art glaubte. Gestern Nacht jedoch musste er eine Grenze überschritten haben, ohne es in diesem Moment selbst zu bemerken. Er hatte dort unten in diesem unheimlichen, halb überfluteten Keller etwas berührt, das er sich nicht erklären konnte und das ihn genau deshalb zutiefst verunsicherte, und nun bemühte sich irgendetwas in ihm, dieser Verunsicherung Herr zu werden, indem es sich mit völlig übertriebener Akribie auf ganz greifbare Probleme stürzte, die sich ihm boten.
    Die Erklärung war simpel, aber gerade deshalb einleuchtend. Will atmete innerlich auf, und er hätte es vielleicht sogar laut getan, wäre nicht in diesem Moment eines genau dieser Probleme um die Ecke gebogen, um die auch er vor zwei oder drei Minuten gekommen war. Statt erleichtert aufzuatmen, versteifte sich Will auf seinem Stuhl und spürte, wie sein Gesicht noch mehr von seiner ohnehin kaum noch vorhandenen Farbe verlor.
    Die junge Frau mit dem goldfarbenen Haar ging auf der anderen Straßenseite, und sie trug jetzt einen leichten Sommermantel über ihrem grauen Kostüm, aber Wills Sinne arbeiteten auf Hochtouren, und auch wenn es nicht so gewesen wäre, hätte er sie vermutlich selbst in einer hundertköpfigen Menschenmenge sofort erkannt. Ihr Haar leuchtete im klaren Licht der Morgensonne wie eine goldene Fackel, und sie wirkte selbst über die große Entfernung hinweg so zerbrechlich wie eine Figur aus feinem Porzellan. Sie trug jetzt eine Handtasche in der Linken, und sie bewegte sich nicht sehr schnell, aber dennoch zielstrebig. In der Rechten hielt sie ein Handy, das so winzig war, dass Will es im Grunde nur sah, weil sie es von Zeit zu Zeit ans Ohr hob und ein paar Worte hineinzusprechen schien, und obwohl sie sich Mühe gab, ihre Bewegungen nicht zu auffällig werden zu lassen, erkannte er doch, dass sie aufmerksam die Straße auf beiden Seiten absuchte.

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