Feuer: Roman (German Edition)
in frühestens zwei Jahren.
Ohne weitere Zwischenfälle verließ er das Kaufhaus und machte sich auf den Rückweg. Er hatte länger gebraucht, als er angenommen hatte, und so schlug er ein scharfes Tempo an, gerade an der Grenze, um nicht aufzufallen. Trotz der frühen Stunde hatte der Verkehr auf der Straße bereits deutlich zugenommen, und auch die Bürgersteige wimmelten zwar nicht gerade von Menschen, waren aber jetzt nicht mehr so leer wie noch vorhin. Ein Mann Mitte dreißig in unauffälliger Kleidung, der eine Plastiktüte des größten Kaufhauses in diesem Viertel in der Hand trug, würde wohl kaum auffallen, sondern gehörte so selbstverständlich zum Straßenbild, dass man ihn praktisch nicht wahrnahm. Dennoch hatte er das unangenehme Gefühl, ununterbrochen angestarrt, ja belauert zu werden. Und das war ungewöhnlich, selbst angesichts seiner momentanen Situation, denn wenn es etwas gab, worauf er sich in seinem Leben verlassen konnte, dann war es sein Gefühl. Will war schon mehr als einmal aus wirklich brenzligen Situationen entkommen, weil er einfach gespürt hatte, dass etwas nicht stimmte. So ungeschickt und – ja – dumm er sich auch manchmal benahm, schien doch zumindest ein Teil von ihm über die feinen Instinkte eines Raubtiers zu verfügen. Manchmal spürte er es einfach, wenn er beobachtet wurde, auch wenn sich sein Verfolger noch so viel Mühe gab, nicht entdeckt zu werden, und ganz gleich, wie gut er war.
Aber wer sollte ihn beobachten? Reimann würde sich kaum die Mühe machen, ihn klammheimlich zu observieren, und Falkenberg wartete vermutlich nur auf einen Anlass, ihm die Tür einzutreten; und vielleicht auch gleich noch die Zähne, wenn er ihm Grund dazu gab. Aber es blieb dabei: Irgendetwas stimmte nicht.
Obwohl Zeit im Moment sein knappstes Gut war, bog Will an der nächsten Kreuzung nicht nach links ab, wie er es getan hätte, um nach Hause zu kommen, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Nur wenige Schritte entfernt lag ein kleines Straßencafé, das trotz der frühen Stunde schon geöffnet hatte und eine erstaunliche Anzahl von Frühstücksgästen anzog. Will ignorierte die einladend geschmückten Tische unter den großen Sonnenschirmen jedoch, betrat das Café und nahm an dem einzigen freien Tisch am Fenster Platz. Er hatte gar nicht vorgehabt, zu bleiben oder irgendetwas zu verzehren, aber er hatte sich noch nicht ganz gesetzt, da erschien die Bedienung und fragte nach seinen Wünschen. Will bestellte einen Kaffee und das kleinste Frühstücksmenü, verstaute seine Plastiktüte unter dem Tisch und kramte in der Jackentasche nach Zigaretten, während er sich gleichzeitig rasch und unauffällig umsah.
Die Wahl seines Verstecks erwies sich im Nachhinein als geradezu genial. In dem Café hielt sich ein buntes Sammelsurium der unterschiedlichsten Gäste auf; Hausfrauen, die zu einem frühmorgendlichen Einkaufsbummel aufgebrochen waren, ein paar Männer mittleren Alters in Anzug und Krawatte, die zu bequem waren oder zu wenig Zeit hatten, zu Hause zu frühstücken, zwei oder drei junge Leute, die auf dem Weg zur Uni noch die Zeit für eine Kaffee fanden … Niemand würde sich hier an ihn erinnern, und niemand, der vorbeikam und einen flüchtigen Blick durch die Scheibe warf, würde ihn sehen. Dafür hatte er die gesamte Straße im Blick. Reimann musste sich schon unsichtbar machen oder sich einer aufwändigen kosmetischen Operation samt einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, um ungesehen an ihm vorbeizukommen.
Er hatte Zigaretten und Feuerzeug gefunden, zog eine Marlboro aus der Verpackung und ließ das Zippo aufflammen. Aber er setzte die Zigarette nicht in Brand.
Plötzlich begann seine Hand zu zittern. Erst ganz sacht, so dass er es fast nur am stärker werdenden Flackern der kleinen Benzin-Flamme erkannte, aber dann immer heftiger und schließlich so stark, dass er die andere Hand zu Hilfe nehmen musste, um seine Rechte zu beruhigen. Es war die Flamme. Eine winzige gelbe Benzinflamme mit kaum sichtbaren blauen Rändern, die gleiche Art von Flamme, an der er sich schon Hunderttausende Zigaretten angezündet hatte und die er normalerweise nicht einmal wirklich zur Kenntnis nahm. Aber plötzlich erfüllte sie ihn mit einer Furcht, die an Panik grenzte. Das Bild tauchte völlig grundlos vor seinem inneren Auge auf, und es gab auch keinen Zusammenhang, weder mit seiner momentanen Situation noch mit irgendetwas anderem, was er je erlebt hatte, und doch erfüllte ihn dieses
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