Feuer: Roman (German Edition)
absurden Vergleich, der sich ihm gerade aufgedrängt hatte. Es war ein einfaches weißes Kleid mit einem dezenten Blumenmuster, dessen Schnitt es vermutlich nicht nur schon vor dreihundert Jahren gegeben hatte, sondern der auch damals schon unmodern gewesen war. Er versuchte sich vorzustellen, wie Duffy in diesem Kleid aussehen mochte, aber es gelang ihm nicht. Er würde sie vermutlich auch nicht darin sehen, denn er war ziemlich sicher, dass sie ihm den Hals umdrehen würde, wenn er damit nach Hause kam. Trotzdem nahm er das Kleid vollends herunter, drehte es einen Moment lang in den Händen und tat so, als prüfe er es aufmerksam, ehe er hilflos mit den Schultern zuckte.
Die junge Frau nickte verständnisvoll. »Es gefällt Ihnen nicht«, sagte sie. »Sie können es ruhig zugeben. Schließlich sind Sie nicht verpflichtet, den gleichen Geschmack zu haben wie ich.«
»Es geht nicht um mich«, sagte Will hastig. »Ich finde das Kleid hübsch, aber meine Nichte …«
Er ließ den Satz unvollendet, und sein blondes Gegenüber sah ihm einen Moment lang tief in die Augen, dann lachte sie, nahm ihm das Kleid aus der Hand und hängte es achtlos über eine in ihrer Griffhöhe angebrachte Stange. »Jeans und T-Shirt?«, schlug sie vor.
»Damit kann man jedenfalls nichts falsch machen«, sagte Will. Er fühlte sich immer noch ein bisschen hilflos, jetzt aber aus einem völlig anderen Grund als noch vor einem Augenblick. Es gab überhaupt keinen Zweifel mehr daran, dass die junge Frau das Gespräch mit ihm suchte. Unter normalen Umständen wäre er vielleicht genauso überrascht darüber gewesen wie jetzt, hätte die Chance aber ganz gewiss nicht ungenutzt verstreichen lassen. Vollkommen egal, welche Auflagen die Emma mittlerweile erreichte und wie sich emanzipierte Frauen im Fernsehen gaben –gut aussehende junge Frauen wie diese, die keinen Hehl daraus machten, dass sie sich für einen bestimmten Mann interessierten, und so deutlich die Initiative ergriffen, gehörten immer noch zu den großen Ausnahmen. Unglückseligerweise war er nicht in der Verfassung, sich über ihr Interesse zu freuen. Und es hatte vermutlich auch nicht viel Sinn, sich mit ihr für später zu verabreden –nicht, wenn die Wahrscheinlichkeit, den Rest des Tages auf einer Polizeiwache oder – noch wahrscheinlicher – in einer Zelle zu verbringen, so hoch war wie jetzt.
Dennoch war er dankbar, als sie ihn mit einer entsprechenden Geste aufforderte, ihr zu folgen, und ihn zu einem Wühltisch mit herabgesetzten Jeans führte. Er erstand zwei Hosen unterschiedlicher Größe – nur zur Sicherheit – und kaufte dann gleich einen Sechserpack T-Shirts in verschiedenen Farben. »Das wird wohl reichen«, sagte er. »In einer Stunde fahre ich sowieso zum Bahnhof und hole ihren Koffer.«
»Also, viel falsch machen kann man damit nicht«, bestätigte seine Wohltäterin. »Wie heißt denn Ihre Nichte?«
Will sah sie überrascht an, und vielleicht sogar ein bisschen zu misstrauisch, denn ihm entging nicht, dass sie unter seinem Blick innerlich zurückprallte. »Warum?«, fragte er.
»Nur so«, antwortete die junge Frau. Sie lächelte nervös. »Ich … wollte nur …« Sie brach ab, schien für einen Moment nicht zu wissen, wohin mit ihrem Blick, und setzte dann neu an. »Entschuldigen Sie. Ich wollte nicht aufdringlich sein.«
»Das waren Sie nicht«, antwortete Will. Er sollte es sein, der sich bei ihr entschuldigte. Das gesunde Maß an Verfolgungswahn, das ein fester – und wichtiger – Bestandteil seines Lebens war, begann allmählich auf gefährliche Weise zu wuchern. »Ganz im Gegenteil. Sie haben mir wirklich geholfen. Vielen Dank.«
Rasch, bevor sie antworten und ihn möglicherweise in ein Gespräch verstricken konnte, das er nur zu gern geführt hätte, sich im Moment aber einfach nicht leisten konnte, drehte er sich herum und ging zur Kasse. Er bezahlte bar, ließ sich eine Plastiktüte geben, in der er die erstandenen Kleider verstaute, und ging dann mit schnellen Schritten zur Rolltreppe. Als er sie betrat, drehte er noch einmal den Kopf und sah zurück. Die Frau mit den goldblonden Haaren stand noch immer genau dort, wo er sie zurückgelassen hatte, und sah in seine Richtung. Vermutlich fragte sie sich, was sie falsch gemacht hatte, und Will entschuldigte sich in Gedanken bei ihr. Vielleicht wollte es ja der Zufall, dass er sie irgendwann wiedersah und ihr die ganze Geschichte erklären konnte. Aber so, wie die Dinge im Moment lagen, wohl
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