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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Außerdem fehlte etwas. Obwohl sie in demselben Kaufhaus wie er gewesen war, trug sie keine Plastiktüte der Art, wie er sie vor sich unter den Tisch geschoben hatte.
    Das bestellte Frühstück kam. Will bezahlte sofort, ohne die Kellnerin oder das Wechselgeld, das sie ihm hinlegte, auch nur eines Blickes zu würdigen, nippte an dem kochend heißen Kaffee und schob den Teller mit unappetitlich aussehendem Rührei, halb verbranntem Speck und zwei aufgebackenen Brötchenhälften angewidert ein kleines Stück von sich; alles, ohne die blonde Frau auf der anderen Straßenseite auch nur für einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen. Ihm war klar, dass sein Starren auffallen musste, aber das war ihm mittlerweile egal. Die junge Frau ging langsam weiter und hatte das Café jetzt schon fast passiert; mindestens einmal hatte sie auch direkt in seine Richtung geblickt, ohne ihn jedoch hinter der Scheibe zu erkennen. Will war nicht ganz sicher, wie weit er seiner eigenen Beobachtungsgabe im Moment trauen konnte, aber er hatte den Eindruck, dass sie mit jedem Schritt nervöser wurde. Möglicherweise war er nicht der Einzige hier, der allmählich in Panik geriet.
    Die junge Frau ging langsam weiter. Irgendwann hob sie das Telefon ans Ohr und schien wieder mit jemandem zu sprechen, und nachdem sie vielleicht vierzig oder fünfzig Schritte zurückgelegt hatte und sich schon fast der nächsten Straßenkreuzung näherte, blieb sie stehen und drehte sich langsam herum. Für einen kurzen Moment schien ihr Blick genau auf Will gerichtet zu sein, und für einen noch kürzeren Moment war er sicher, dass sie ihn entdeckt hatte. Doch dann ging sie weiter, und wenn er jemals einen Menschen gesehen hatte, dessen Haltung Hilflosigkeit und Furcht ausdrückte, dann sie.
    Will nippte erneut an seinem Kaffee. Seine Gedanken rasten, aber zumindest verloren sie sich nicht mehr in heillosem Chaos. Auch wenn es völlig widersinnig klang – er war sicher, dass die junge Frau nicht zufällig hier war, so wenig, wie sie zufällig vorhin im Kaufhaus aufgetaucht war. Sie war ganz eindeutig auf der Suche nach etwas oder jemandem, und die Vermutung, dass er dieser Jemand war, lag auf der Hand; auch wenn er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, warum. Aber sie war gut. Ihre Art, nicht nur in seine Nähe zu gelangen, sondern ihm auch noch ein paar Informationen zu entlocken, die er unter normalen Umständen niemals preisgegeben hätte, war perfekt gewesen, das musste er zugeben. Und hätte er sich nicht in einer Ausnahmesituation befunden, hätte er nicht unter einem Anfall akuter Paranoia gelitten, und hätten seine Sinne nicht mit ungefähr achthundert Prozent ihrer normalen Leistungsfähigkeit gearbeitet, wäre ihm vermutlich nicht einmal aufgefallen, dass sie ihm folgte.
    Aber es war ihm aufgefallen, und Will gedachte das Spiel ab sofort zu seinen Bedingungen weiterzuspielen.
    Er griff zum zweiten Mal in die Jackentasche, um Zigaretten und Feuerzeug hervorzuholen, und diesmal bereitete es ihm nicht die geringste Mühe, dem Anblick der Flamme standzuhalten und die Zigarette anzuzünden. Ihm war nicht nach Rauchen – das war ihm selten. Eine Packung Zigaretten reichte bei ihm manchmal eine Woche, manchmal länger, und schon mehr als einmal hatte er sie halbvoll weggeworfen, weil der Tabak auszutrocknen begann und aus den Hüllen herausrieselte, wenn er eine Zigarette aus der Packung nahm – aber die fünf oder sechs Minuten, die er brauchen würde, um die Marlboro zu rauchen, erschienen ihm eine gute Frist, falls die Blonde tatsächlich hinter der nächsten Ecke verschwinden und nicht mehr auftauchen würde. Auf jeden Fall wäre es lang genug, um ihr einen gehörigen Vorsprung zu sichern, und falls sie auf der Straße blieb oder gar auf ihn zukam, würde ihm vermutlich ausreichend Zeit bleiben, um sich etwas Neues einfallen zu lassen.
    Genau genommen geschah beides. Die Frau mit dem goldfarbenen Haar ging zögernd und immer wieder anhaltend, einen Blick zurückwerfend, zum Ende der Straße und bog dann nach links ab, und Will war schon versucht, seine Zigarette auszudrücken und das Café zu verlassen, entschied sich aber dann dagegen und, wie sich zeigte, zu Recht. Es verging nicht einmal eine halbe Minute, bis sie zurückkam. Sie hatte das Handy nicht mehr am Ohr, und sie war viel zu weit entfernt, als dass er ihr Gesicht erkennen konnte; aber Will konnte ihre Nervosität beinahe riechen. Bis zu diesem Moment hatte er sich – auch

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