Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
zerliefen. Dort, wo er stand, war der Boden noch immer heiß, aber nicht glühend. Es war, als versuche er über die Oberfläche eines erstarrten, aber noch lange nicht erkalteten Vulkans zu laufen.
    Er musste wieder an die glühend flüssige Masse denken, die aus dem Keller emporgequollen war und das Haus in Brand gesetzt hatte. Lava. So unglaublich ihm der Gedanke selbst jetzt noch vorkam, es war Lava, und wenn nicht, dann etwas, das wie Lava aussah und so heiß wie Lava war. Trotzdem: ein Lava-Ausbruch mitten in der Kölner Südstadt? Das war vollkommen lächerlich!
    Und wenn er nicht bald machte, dass er hier wegkam, dann würde er tot sein.
    Will versuchte, die Panik niederzukämpfen und seine Gedanken wenigstens weit genug zur Ordnung zu zwingen, um nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten. Es war möglich. Wenn man genau hinsah, konnte man die heißen Stellen erkennen: Der Stein glänzte wie poliert, und die Luft darüber flimmerte vor Hitze. Ein einziger falscher Schritt, und das nächste, was am Boden kleben blieb, waren nicht seine Schuhsohlen.
    Ein dumpfer Knall wehte aus dem Haus herüber, und nicht weit von Will entfernt stürzte eine glitzernde Flut glühender Glasscherben vom Himmel. Er unterdrückte den Impuls, sich herumzudrehen und den Kopf zu heben, um in die Richtung zu sehen, aus der der Trümmerregen gekommen war – er wusste, was er sehen würde, nämlich ein weiteres zerberstendes Fenster, aus dem prasselnde Flammen oder auch schwarzer Rauch herausquollen –, sondern hob stattdessen schützend die Arme über den Kopf und rannte los. Vermutlich hatte er auf diese Weise gute Chancen herauszufinden, wie sich ein Minutensteak auf dem Grill fühlte, aber wenn er hier blieb, würde er mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit sterben.
    Er rannte los, und er konnte hinterher nicht sagen, ob er einfach nur Glück gehabt oder die Linien flimmernder Luft über dem glühenden Stein tatsächlich gesehen hatte; wenn auch möglicherweise auf einer tiefen, dem direkten Zugriff verschlossenen Ebene seines Bewusstseins. Vielleicht war er auch ganz simpel schnell genug –er rannte in einem fast willkürlichen Zickzack über den Garagenhof und erreichte irgendwie die Einfahrt, und mindestens ein oder zwei Mal hatte er tatsächlich das Gefühl, über eine glühende Herdplatte zu laufen. Als er das gemauerte Torgewölbe erreichte und sich krampfhaft um Luft ringend gegen die Wand sinken ließ, qualmten seine Schuhsohlen nicht wirklich wie die einer Comicfigur aus einem albernen Zeichentrickfilm, aber sie fühlten sich klebrig an, und der Gestank nach zerschmolzenem Gummi nahm ihm für einen Moment schier den Atem.
    Das Sirenengeheul draußen auf der Straße war lauter geworden, und ein zweiter, noch entfernterer Ton hatte sich dazugesellt – Polizei, keine Feuerwehr; Will kannte den Unterschied des Sirenensignals genau –, und der rechteckige Ausschnitt der Straße auf der anderen Seite der Einfahrt war ein reines Chaos aus Bewegung und Farben, durchwoben von der Geräuschkulisse einer in Panik geratenen Menschenmenge. Seine Aussichten, zu Tode getrampelt zu werden, wenn er sich dort hinauswagte, waren nicht schlecht, aber hier drinnen bleiben konnte er auf keinen Fall.
    Ein weiterer dumpfer Knall wehte aus dem Haus herüber; fast mehr zu spüren, als wirklich zu hören, ein Geräusch, als bräche tief unter dem gepflasterten Hof ein gewaltiger Hohlraum zusammen, und obwohl der Laut im Vergleich zu dem Höllenlärm, der sein Gehör zuvor gepeinigt hatte, fast harmlos wirkte, reichte er doch aus, Wills letzte Bedenken zu zerstreuen. Er stieß sich von der Wand ab, rannte durch das Torgewölbe und brachte irgendwie die Geistesgegenwart auf, seine Schritte im allerletzten Moment ein wenig zu verlangsamen. Als er auf die Straße hinaustrat, ging er noch immer sehr schnell, aber er rannte nicht mehr wie von Furien gehetzt, was ihm zweifellos mehr Aufmerksamkeit eingebracht hätte, als ihm lieb war.
    Möglicherweise aber auch nicht, denn die Straße hatte sich in einen Hexenkessel verwandelt. Schwarzer Qualm kam aus den Fenstern des Hauses zu seiner Rechten, Funken, brennendes Holz und glühende Glassplitter regneten auf den Bürgersteig herab, und wohin er auch blickte, sah er flüchtende Menschen, die rannten, als ginge es um ihr Leben – auch wenn die allermeisten sich nicht einmal in der Nähe des brennenden Hauses aufhielten. Niemand nahm von ihm Notiz. Wer nicht wie von Furien gehetzt rannte, stand in sicherer

Weitere Kostenlose Bücher