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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einzugehen, sondern verzog nur die Lippen zur Karikatur eines Lächelns und stellte die Tasse ab. Seine Hände zitterten so heftig, dass er sogar ein wenig von ihrem Inhalt verschüttete, und Georg konnte ein missbilligendes Stirnrunzeln nicht mehr ganz unterdrücken, als er den dünnen Kranz bemerkte, den der Kaffee auf der polierten Mahagoniplatte des Schreibtisches hinterließ. Zu Wills Erstaunen machte er jedoch keine entsprechende Bemerkung, obwohl er normalerweise keine Gelegenheit verstreichen ließ, darauf hinzuweisen, wie teuer seine Einrichtung war und wie vorsichtig man damit umzugehen hätte. Er lächelte nur (nicht ganz echt), trank seinerseits von seinem Kaffee und fuhr mit dem Handrücken unter der Tasse entlang, bevor er sie absetzte; Will hatte sich nicht die Mühe gemacht, Untertassen mitzubringen.
    Obwohl er gerade so sichtlich ungeduldig gewesen war, war Georg es nun, der eine geraume Weile einfach sitzen blieb und Will nachdenklich ansah. Und Will begann sich unter diesen Blicken zunehmend unbehaglicher zu fühlen. Es gab eine Menge (zumeist unangenehmer) Attribute, die auf Georg zutrafen, aber eines war er bisher immer und unter allen denkbaren Umständen gewesen: berechenbar. Doch genau das war plötzlich anders geworden. Er saß einfach da, trommelte manchmal leise und unrhythmisch mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte und sah ihn an, als warte er auf eine ganz bestimmte Reaktion.
    Will hielt dieses Starren gute zwei, vielleicht auch drei Minuten aus, dann griff er wieder nach seiner Tasse und leerte sie in einem einzigen, nervösen Zug. In der gleichen Bewegung fuhr er mit den Fingern der anderen Hand über die Tischplatte, um den Kranz wegzuwischen, den die Tasse darauf hinterlassen hatte. Statt den hässlichen Fleck zu entfernen, verschmierte er ihn nur, aber Georg sagte erstaunlicherweise auch dazu nichts. Er ließ sich tiefer in den gewaltigen gesteppten Ledersessel sinken, und zumindest für einen kurzen Moment wurde er wieder genau zu dem Georg, den Will kannte. Er war kein sehr großer Mann und auch nicht besonders breitschultrig, aber er hatte die zumindest halbwegs durchtrainierte Gestalt eines Mannes, der dreimal pro Woche ins Fitnessstudio ging, um sich dort zwei Stunden abzumühen, ohne allerdings mit wirklichem Enthusiasmus bei der Sache zu sein. Georg bevorzugte schlichte, allerdings sehr teure Kleidung und kostspieligen und alles andere als schlichten Schmuck. Und obwohl er weder Pomade im Haar noch einen dünnen Oberlippenbart trug, hatte man stets das Gefühl, er wäre direkt aus einem amerikanischen Krimi der dreißiger Jahre entsprungen. Außerdem war er der gefährlichste Mann, den Will kannte Während seiner Zeit im Gefängnis war Will einer Menge Typen begegnet, die brutaler waren als Georg, gewalttätiger und heimtückischer, dennoch hätte er sich mit jedem von ihnen zehn Mal lieber angelegt als mit Georg, denn der Hehler, Zuhälter und mit Sicherheit noch in ganz andere, weitaus kriminellere Machenschaften verwickelte Barbesitzer war auf die vielleicht schlimmstmögliche Art verkrüppelt, die einem Menschen zustoßen konnte: Er hatte kein Gewissen. Will konnte nicht sagen, ob er so geboren oder irgendwann im Laufe seines Lebens so geworden war, aber das Ergebnis blieb das gleiche. Es gab nur einen Menschen auf der Welt, für den Georg irgendetwas empfand, und dieser Mensch hieß Georg. Will wusste nicht, ob er Kinder hatte, aber er zweifelte nicht daran, dass er sie – sollte es sie geben – ohne mit der Wimper zu zucken an einen Organhändler verkaufen würde, wenn nur der Preis stimmte.
    »Was ist?«, fragte er nervös.
    »Was soll denn sein?«, antwortete Georg. Er beugte sich ein Stück vor, und ein Lichtstrahl fiel auf das Amulett mit dem Wolfskopf, das er um den Hals trug, und Will hatte für einen winzigen, unbehaglichen Moment das Gefühl, als würde ihn der silberne Miniatur-Wolf anspringen wollen. »Fehlt dir irgendetwas? Soll ich dir noch einen Kaffee holen oder etwas zu essen?«
    »Nein«, erwiderte Will. »Du … siehst mich nur so komisch an.«
    »Ich habe nur noch nie einen toten Mann gesehen«, antwortete Georg. »Jedenfalls keinen, der dasitzt, meinen Kaffee trinkt und sich mit mir unterhält.«
    Es war das zweite Mal, dass Georg diese seltsame Anspielung machte, aber Will überging sie auch jetzt. Wahrscheinlich war es nur Georgs Art, eine verkappte Drohung auszustoßen. Als er ihm nicht den Gefallen tat, irgendetwas darauf zu erwidern, sondern

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