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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gieriger Flammen geworden war.

BUCH II
    Da wurden ihnen düster die dunkeln Nächte,
    Sie schliefen den süßen Schlaf nicht mehr.
    Aus diesem Harme erwuchs der Hass
    zwischen Bundesbrüdern.
    Edda, Das Sonnenlied

Kapitel 11
    Er erwachte mit hämmernden Kopfschmerzen und dem schlechtesten Geschmack im Mund, den jemals ein Mensch nach dem Erwachen geschmeckt hatte. Jedenfalls kam es ihm so vor. Es war so schlimm, dass ihm augenblicklich übel wurde, als er versehentlich etwas von seinem eigenen Speichel herunterschluckte. Sein Magen revoltierte, und möglicherweise hätte Will sich auf der Stelle übergeben, hätte er nicht instinktiv die Augen geöffnet und seinen Blick auf einen imaginären Punkt irgendwo zwischen sich und der gegenüberliegenden Wand fixiert. Es funktionierte. Seine Kopfschmerzen explodierten regelrecht, und zu der Übelkeit, die in seinen Eingeweiden wühlte, gesellte sich auch noch ein heftiges Schwindelgefühl, aber der Anfall hatte tatsächlich etwas von einer Explosion: kurz, überaus heftig und brutal, aber letzten Endes zu schnell vorbei, um wirklichen Schaden anzurichten.
    Will richtete sich – vorsichtig und ohne den Blick auch nur einen Sekundenbruchteil von dem unsichtbaren Ankerplatz in der Wirklichkeit zu nehmen – auf der Bettkante auf und blinzelte dann verständnislos um sich. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war, geschweige denn, wie er hierher gekommen war. Aber dieser Augenblick der Desorientierung hielt nicht lange an. Dann rastete irgendetwas hinter Wills Stirn mit einem fühlbaren Ruck ein, und sein Gedächtnis kam endlich wieder auf Touren. Er befand sich im Roten Fasan, genauer gesagt, in einem der billigen Séparées des als Nachtclub kaschierten Puffs, und er war hierher gekommen, weil es im Moment in dieser ganzen verdammten Stadt einfach keinen anderen Platz gab, wo er bleiben konnte. Etwas präziser ausgedrückt, wo er sich blicken lassen konnte.
    Für einen Moment schloss er noch einmal die Augen, lauschte aufmerksam in sich hinein und atmete mehrmals hintereinander bewusst tief ein und aus. Es half. Als er die Lider wieder hob, war die Übelkeit verschwunden, und auch das Schwindelgefühl ebbte rasch ab. Will grinste flüchtig. Es hatte eben doch Vorteile, wenn man eine gewisse Übung darin hatte, einen über den Durst zu trinken und dann mit den Folgen fertig zu werden. Nicht, dass er gestern tatsächlich einen über den Durst getrunken hätte. Soweit er sich erinnerte, hatte er gestern nicht einen Tropfen Alkohol angerührt. Er hatte noch eine gute Viertelstunde nach der Blonden gesucht – selbstverständlich vergebens – und war schließlich gute zwei Stunden lang ziellos durch die Stadt geirrt, bevor er endlich auf das Nächstliegende gekommen war und sich auf den Weg zum Fasan gemacht hatte; zwar mit einem unguten Gefühl, aber wohin sollte er sonst gehen? Georg hatte ihn jedoch überrascht. Er hatte weder eine Frage gestellt noch irgendetwas gefordert oder verlangt, ja, nicht einmal eine seiner üblichen zynischen Bemerkungen angebracht, sondern ihn kommentarlos hereingelassen und anschließend hier heraufgebracht. Seither – Will sah auf die Armbanduhr und erschrak ein wenig – hatte er geschlafen. Gute achtzehn Stunden, wenn er richtig rechnete. Er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor achtzehn Stunden am Stück geschlafen zu haben, aber ein rascher Blick zum Fenster zerstreute auch noch die letzten Zweifel. Das Fenster ging nach Osten hinaus, und er konnte die Sonne als gleißende Sichel am oberen Rand des verzogenen Rahmens erkennen. Es war wieder Vormittag.
    Will stand auf. Angesichts der Zeit, die er geschlafen hatte, sollte er sich eigentlich zum Bäume-Ausreißen fühlen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Jede Bewegung kostete ihn große Mühe. Unsicher tastete er sich zum Waschbecken, drehte den Kaltwasserhahn auf und hielt die Handgelenke unter den dünnen, aber eisigen Strahl. Vorsichtshalber dachte er nicht darüber nach, wozu dieses Becken sonst wohl noch benutzt wurde, sondern konzentrierte sich lieber darauf, sein Konterfei in dem rostfleckigen Spiegel darüber zu studieren. Er sah nicht besonders gut aus. Seine Haut war teigig und blass, und er war den Flammen anscheinend doch näher gekommen, als ihm bewusst gewesen war, denn er hatte sich das Haar aus der Stirn gesengt, und seine Brauen und Augenlider waren praktisch verschwunden. Darüber hinaus hatte er eine Anzahl leichter Verbrennungen im Gesicht. Man musste schon

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