Feuer und Eis
Enttäuschung. Allerdings war er stolz auf mich.“ Es war schön, das so offen aussprechen zu können. Und es tat gut, die Wahrheit sagen zu können.
Xante schluckte. „Ich habe gelesen, dass du das Haus verkaufst.“ Er besaß Geld, so viel Geld. Manchmal war das ein Fluch. Er wusste, wie hochtrabend er sich anhörte, aber er wollte heute nun mal alles richtig machen. „Das brauchst du nicht.“
„Doch, Xante, ich muss“, fiel sie ihm ins Wort. „Es ist bereits verkauft. Nächsten Monat ziehe ich aus. Und ich verspürte nur Erleichterung. Mein ganzes Leben habe ich vergeblich versucht, den einst glorreichen Namen Wallis hoch zu halten. Jetzt möchte ich nur noch ich selbst sein. Ich möchte mein Leben so leben, wie es mir gefällt.“ Er sah, wie Tränen in ihren Augen aufblitzten und ahnte, dass ihr, trotz der tapferen Worte, das Herz bluten musste. Allerdings wusste er auch, dass es ihr absolut ernst war. „Es ist Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.“
Heute herzukommen, war die richtige Entscheidung, ging es Karin durch den Kopf. Sie hatte so viel Energie darauf verwandt, das Erbe ihres Großvaters zu beschützen, dass sie ihr eigenes Leben dabei ganz vergessen hatte. Jetzt war es an der Zeit, sich auf die wunderbare Zukunft zu freuen, die auf sie wartete.
Twickenham war der Ort, den ihr Großvater über alles geliebt hatte. Sie brauchte kein Haus oder gar die Rose, um seine Erinnerung zu bewahren. Karin atmete tief ein und beschwor das Gefühl herauf, wie er damals immer neben ihr gestanden hatte und glücklich auf die einlaufende Mannschaft hinuntergeblickt hatte.
Die beiden Teams hatten mittlerweile nebeneinander in einer Reihe Aufstellung genommen. Die Flaggen von England und Schottland flatterten im Wind. Eine fast elektrisch wirkende Spannung senkte sich über das gesamte Stadion.
Karin spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Jedes Härchen in ihrem Nacken schien sich aufzurichten. „Xante, ich muss dir ein Geständnis machen.“ Sie beobachtete, wie ein alarmierter Ausdruck über sein Gesicht huschte – was aufgrund ihres letzten Geständnisses nicht weiter verwunderlich war. Unwillkürlich musste sie lächeln.
„Du kannst mir alles anvertrauen.“
„Ich liebe die schottische Nationalhymne.“
In diesem Moment setzten die Trommeln ein, dann die Dudelsäcke. Karin lief ein Schauer über den Rücken. Tränen der Ergriffenheit liefen ihr über die Wangen. Anschließend wurde die englische Hymne angestimmt, und achtzigtausend Fans sangen stolz jedes Wort aus vollen Kehlen mit.
„Heute bin ich ein Engländer, der im Körper eines Griechen gefangen ist“, rief Xante ihr durch den fröhlichen Lärm hinweg zu, was sie zum Lachen brachte. „Ich liebe dich.“
Er sagte es nur einmal, schaute ihr dabei unverwandt in die Augen und überließ es dann ihr, mit diesem Wissen zu tun, was sie wollte.
Es war ein aufregendes Spiel. Wie in alten Tagen feuerte Karin ihr Team an, ließ sich von der Begeisterung der Fans mitreißen und beobachtete, wie der Ball aufgehoben und geworfen wurde, wie ihn ein zweiter Spieler fing, ihn fest gegen die Brust presste und loslief.
Und was war mit ihr? Konnte sie das Risiko eingehen, sich über die Linie zu werfen?
Egal wie schlammverschmiert und müde sie waren, die Spieler auf dem Feld gaben niemals auf.
Sie glaubten an den Sieg, ganz gleich, welchen Punktestand die Tafel anzeigte.
Mit angehaltenem Atem sah sie zu, wie der Kapitän der Engländer sich den Ball zurechtlegte. In wenigen Minuten endete die Halbzeit, dieser Punkt war wichtig.
Jeder Punkt zählte, aber dieser zählte besonders. Denn wenn England ein Tor schoss, schwor Karin sich, dann würde sie es Xante sagen.
Der Schiedsrichter blies in seine Pfeife, der Kapitän nahm Anlauf, schoss … und die Menge brach in lauten Jubel aus. Tor. Die Entscheidung war gefallen.
„Ich liebe dich, Xante. Ich habe dich immer geliebt.“
Lächelnd wandte er sich zu ihr um, denn tief in seiner Seele hatte er es längst gewusst, hatte es gespürt, wann immer sie einander geliebt hatten. „Dein Timing ist furchtbar …“ Verwirrt über seine seltsame Reaktion musste sie einige Male heftig blinzeln. „Zur Halbzeit bin ich in die Umkleidekabine des englischen Teams eingeladen worden.“
„Oh!“
„Du verstehst, es wäre unhöflich …“
„Natürlich.“ Und sie verstand ihn wirklich. Der äußere Anschein bedeutete nun mal sehr viel. Verpflichtungen mussten eingehalten werden. Manchmal waren das
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