Feuer und Eis
Gesicht. „Das war sehr indiskret von mir. Inmitten dieser wundervollen Stücke verliert man leicht den Kopf … Sie besitzen da den Traum eines jeden Sammlers, wissen Sie.“
„Warum war es indiskret?“ Sie reichte ihm einen Stapel schwarz-weiß Fotografien und wusste, dass sie ihn am Haken hatte.
„Er macht alles anonym.“ Begeistert sah Elliot sich die alten Bilder an. „Erst vergangene Woche hat er einer Schule für benachteiligte Kinder ein einwöchiges Training mit der Rugbynationalmannschaft geschenkt. Und das ist kein Märchen, es stand sogar in der Zeitung. Ist das Obolensky?“
„Ich glaube schon“, meinte Karin, ohne wirklich auf das Foto zu blicken. Ihre Gedanken rasten. Alles, was sie ihm vorgeworfen, alles, womit sie sich insgeheim getröstet hatte, war falsch.
„Ja, er ist es!“, rief Elliot glücklich aus. „Wussten Sie, dass er am liebsten Austern und Champagner zum Frühstück aß?“
„Das wusste ich nicht“, erwiderte sie lachend.
Danach verhielt Elliot sich über die Maßen indiskret, weshalb Karin sehr viel über Xante erfuhr. „Bisweilen kauft er Dinge, von denen er weiß, dass der Eigentümer in Schwierigkeiten geraten ist. Er behält sie eine Weile, dann gibt er sie zurück. Anonym, so lautet seine Regel.“
„Wem hat er auf diese Weise schon geholfen?“
„Oh, diese Frage kann ich Ihnen wirklich nicht beantworten.“ Elliot lächelte und legte die Fotos zögernd zurück. „Falls Sie jemals Ihre Meinung ändern und doch verkaufen wollen …“
„Nein, das werde ich bestimmt nicht.“
„Manchmal geht es nicht allein ums Geld, nicht wahr? Wäre es meine Sammlung, ich würde es auch nicht übers Herz bringen, mich von ihr zu trennen.“
Und dann tat sie etwas sehr Seltsames. Karin suchte in dem Stapel nach dem Bild von Obolensky und reichte es Elliot. „Das steht nicht zum Verkauf“, sagte sie. „Es ist ein Geschenk.“
Vielleicht schätzte sie Elliot falsch ein, vielleicht würde das Foto schon nächste Woche in einer Auktion auftauchen – aber irgendwie glaubte sie das nicht. Denn als sie die überraschte Freude in Elliots Gesicht sah, begriff sie, dass sie nicht alles behalten durfte. Manche Erinnerungen mussten mit anderen Menschen geteilt werden.
„Vielen Dank.“ Elliot wusste kaum, was er sagen sollte. „Sie haben keine Ahnung, wie viel mir das bedeutet …“
Er hatte auch keine Ahnung, was er gerade getan hatte – er hatte ihr einen anderen Blick auf Xante gewährt.
„Gehen Sie heute zu dem Spiel?“, fragte Karin, doch der Gutachter schüttelte den Kopf.
„Zum Eröffnungsspiel des Six Nations Turniers? Seit Monaten gibt es keine Tickets mehr. Vielleicht fahre ich trotzdem zum Stadion und lasse mich von der Atmosphäre mitreißen.“
Nachdem Elliot gegangen war, blieb Karin noch lange zwischen den Sachen ihres Großvaters in der Bibliothek sitzen und dachte über Xante nach.
Ihr Blick fiel auf eines der Fotos an der Wand. Es zeigte ihren Großvater, der einen Rugbyball gegen die Brust gepresst hielt. Seine Miene zeigte eine grimmige Konzentration, sein einziges Ziel war es zu gewinnen, den Sieg zu erobern. Wie lautete Xantes Ziel? Sie in sich verliebt zu machen?
Und was dann?
Auf dem Kaminsims lehnte ein weißer Briefumschlag. Er befand sich seit mehreren Wochen dort. Geöffnet hatte sie ihn nicht, aber auch nicht in tausend Fetzen zerrissen oder ins Feuer geworfen.
Aber alle drei Möglichkeiten waren ihr durch den Kopf gegangen.
Seine E-Mails und SMS hatte sie ungelesen gelöscht. Die Blumen hingegen machten sich während der Hausbesichtigungen ganz gut.
Doch an dem Brief war etwas, das sie hatte zögern lassen.
Auf dem Umschlag klebte eine griechische Briefmarke. Angekommen war er am vierten Januar.
Mittlerweile war es Mitte März.
Ihre Finger zitterten, als sie den Umschlag aufriss.
Sie entfaltete die Seite. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, während sie las.
Keine Entschuldigung, keine Erklärung. Denn die kannte sie bereits zur Genüge.
Nur eine ehrliche Selbsteinschätzung eines stolzen Mannes. Karin ahnte, wie schwer es ihm gefallen sein musste, diese Zeilen zu Papier zu bringen.
Sie schaute auf die Uhr und atmete tief ein.
Wenn sie sich wirklich beeilte, könnte sie es gerade noch schaffen. Und vielleicht, nur vielleicht, könnten auch sie es dann noch schaffen.
12. KAPITEL
Eigentlich sollte er dem Spiel aufgeregt entgegenfiebern. Er besaß zwei VIP-Tickets! Und zu Xantes großer Überraschung war er sogar
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