Feuer und Glas - Der Pakt
Eigentlich trieb es ihn zurück zur Werft, wo Milla und Ysa nach der geglückten Flucht Unterschlupf gefunden hatten. Auch Savinia hatte sich dazugesellt, die zutiefst erleichtert abwechselnd Tochter und Schwägerin an die Brust drückte und sie gar nicht mehr loslassen wollte.
Es war lediglich ein Zwischensieg, wie alle wussten, ein kurzes Atemholen, bevor sich der Zorn des Alten erneut und noch stärker als bisher über jene ergießen würde, die in dieses riskante Manöver verwickelt waren. Natürlich hatten sie über andere Verstecke beratschlagt; sogar eine Flucht aus Venedig war zur Sprache gekommen. Doch Milla hatte von alldem nichts wissen wollen.
»Ich bleibe.« Ihre Augen hatten gefunkelt wie tiefgrüne Smaragde. »Das Erbe meines Vaters – es wartet auf mich!«
Nur mit großer Überredungskunst war es Marin gelungen, ihr schließlich das Haus am Rio Paradiso halbwegs schmackhaft zu machen, weil es abgelegener lag als sein Wohnhaus in Werftnähe.
Etwas Dumpfes lag über der Stadt, eine dräuende Gewitterstimmung, die nach Entladung drängte. Jeder Mann und jede Frau schienen es eilig zu haben; Gassen und Kanäle waren voller Menschen und Gondeln. Marcos Schritte waren kraftvoll und gleichmäßig. Sein Herz jedoch schlug hart gegen die Rippen, je näher er dem Arsenal kam.
Ohne einen Blick durch das offene Tor zu werfen, passierte er die Seilerei. Dort wäre ohnehin kaum jemand froh über sein Erscheinen, und die meisten dort fürchteten oder hassten ihn sogar. Seit der Alte ihn zu seinem Vertrauten gemacht hatte, war er bestrebt gewesen, dessen Anordnungen so schnell und wirkungsvoll wie möglich umzusetzen.
Doch er war ins Grübeln gekommen, längst bevor Milla ihn als willenlosen Handlanger geschmäht hatte. Vieles, was ihm früher richtig erschienen war, hatte inzwischen bedenkliche Schieflage bekommen. Damals im Waisenhaus hatte er sich danach gesehnt, zu einer starken Persönlichkeit aufzusehen, die ihn anleiten und führen würde. Im Admiral glaubte er diese Persönlichkeit gefunden zu haben, und dass er beizeiten gelernt hatte zu gehorchen, um zu überleben, hatte es anfangs leicht für ihn gemacht.
Mittlerweile jedoch schämte sich Marco für diesen bedingungslosen Gehorsam. Tat er nicht das, was der Alte von ihm verlangte, sondern dachte nach und handelte aus eigenem Antrieb, bekam die Welt plötzlich eine buntere Färbung. Sogar Luca Donato, in seinen Augen einst ein Gegner und Feind, war anders, als er je gedacht hatte.
Noch hatte er den letzten Schritt nicht getan und den Wasserleuten von dem furchtbaren Geheimnis erzählt, das er mit sich herumtrug. Während Marco den Wachen am Tor das Losungswort zurief und sie ihn einließen, entschloss er sich, ihn zu machen – falls er diese Kathedrale des Kriegs lebendig und als Herr seiner Sinne verlassen würde.
Federico und Paolo hatten sich vor dem großen Raum postiert, was ihn nicht weiter verwunderte. Sie begleiteten ihn zwar hinein, gingen aber nach einer ungeduldigen Geste des Admirals rasch wieder hinaus.
»Da bist du ja endlich«, sagte der Alte, scheinbar in seine Karte vertieft, auf der mit Rötel verschiedenste Kreise aufgemalt waren. »Wir sind beinahe so weit. Komm näher!«
Marco trat zu ihm und starrte auf die Karte. Er versuchte, sich die Markierungen einzuprägen, doch einiges war verändert worden. Manche der bisherigen Standpunkte hatte der Alte aufgegeben, dafür andere hinzugefügt. Besonders viele Kreise fanden sich in Dorsoduro. Offenbar war der Admiral entschlossen, vor allem den Werften den Garaus zu machen. Und da war noch ein neuer, besonders dicker Kreis, im sestiere San Marco, nur einen Katzensprung von der Stelle entfernt, an der sich einst die Rialtobrücke über den Kanal gespannt hatte …
»Genug jetzt!«, rief der Admiral plötzlich. »Stell dich dort drüben hin!« Seine Hand wies auf den Platz neben einer großen Truhe.
Marco kam der Aufforderung nach.
»Ah, was für ein Tag«, murmelte der Admiral. »Seit Sonnenaufgang nichts als schlechte Nachrichten! Ausfälle bei den Zimmerleuten, Pech, das beim Sieden auslief, ein Leck im Bug des Bucentauro, Gefangene, die dreist aus dem Kerker entführt wurden – aber was rede ich da!«
Er blickte auf.
»Du siehst blass aus, Bellino! Schlecht geschlafen oder einfach nur überanstrengt?«
»Ich …«, begann Marco.
»Warte«, rief der Admiral. »Ich will dich einem Experiment unterziehen.« Er öffnete das dunkle Holzkästchen, das auf seinem großen
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