Feuer und Glas - Der Pakt
antreten sollte! Die Kisten seien fast leer, so wurde gemunkelt. Venedig sei bankrott, den Launen seiner Feinde hilflos ausgeliefert.
»Liegt der Doge oben, der die Kreuzfahne von San Marco erhält, gehen zwei von euch auf der Stelle. Ist es das Abbild Christi, wird die Entlassung um einen Tag verschoben. Aber wiegt euch nicht in Sicherheit. Denn morgen um die gleiche Zeit lasse ich die Prozedur erneut vornehmen«, rief Marco. »Also redet – dies ist die allerletzte Gelegenheit!«
Keiner gab einen Ton von sich.
Inzwischen war Marco vor Anspannung speiübel. Die Verzweiflung und der Zorn der Seiler setzten ihm zu, als sei er in einer Zwinge gefangen, die sich immer mehr zuzog. Aber er brauchte doch Ergebnisse, um den Admiral zufriedenzustellen!
»Her mit dir, Querini!«, befahl er.
»Gib dein Bestes«, rief Vincente Caselli, ein junger Mann mit braunen Locken aus der zweiten Reihe, während der Glatzkopf zögerlich auf Marco zutrat. »Zumindest das bist du uns schuldig!«
Sie mögen ihn nicht, dachte Marco, während er Salvatore Querini die Goldmünze reichte. Keiner kann ihn ausstehen, obwohl er die Arbeit einwandfrei beherrscht. Doch im Gegensatz zu vielen anderen hier kann er sich nicht auf Vater oder Großvater berufen, die bereits Arsenalotti gewesen waren.
Querini war noch nicht lange in der Seilerei tätig, eines Tages scheinbar aus dem Nichts gekommen, beinahe wie er selbst.
Warum war ihm das nicht schon viel früher aufgefal-len?
Außerdem war Vincente mit ihm in einer Schicht gewesen. Wusste der junge Mann mehr, als er bislang zugegeben hatte?
Marco beschloss, der Sache nachzugehen. Aber erst, wenn dieser Albtraum hinter ihm lag.
»Wirf!«, bellte er.
Die Münze flog nach oben und landete nach einer Drehung sicher auf Querinis breitem Handrücken.
»San Marco und der Doge«, flüsterte er und wirkte plötzlich eingefallen. »Es tut mir so unendlich leid, Freunde …«
Marcos Kehle war eng, als er den Dukaten wieder an sich nahm. Wie gern hätte er selbst diesen Aufschub von einem Tag gehabt! Aber nun musste er handeln, ohne auch nur den Anflug von Schwäche zu zeigen.
»Zwei von euch verlassen uns also.«
Wen sollte er bestimmen – Querini? Die Vorstellung, den Querulanten für immer los zu sein, erschien ihm mehr als verlockend. Dann jedoch entschied er sich dagegen. Er musste den Glatzkopf weiter beobachten, um mehr herauszubekommen. Er war in den Unfall verwickelt – auf einmal war sich Marco ganz sicher.
Aber hatte er allein gehandelt?
Oder gab es andere, die ihm dabei geholfen hatten?
Marco brauchte Beweise, um ihn zu überführen – oder jemanden, der endlich den Mund aufmachte.
Sein Blick streifte Vincente, dann seinen Vater Pino, dessen Locken in den langen Jahren als Arsenalotto grau geworden waren. Die beiden Casellis waren sehr beliebt, fröhliche, handfeste Männer, die gern sangen und immer für gute Stimmung sorgten. Ausgerechnet sie zu bestimmen, wäre riskant – aber vielleicht umso nützlicher.
Marco ballte die Hände zu Fäusten.
»Pino Caselli«, sagte er. »Und Vincente Caselli. Packt eure Sachen und verschwindet.«
Empörtes Murmeln erhob sich unter den Männern, das nach und nach zu einem gefährlichen Grollen anschwoll.
»Sie haben nichts getan!«, rief Clemente. »Wie könnt Ihr nur so ungerecht sein?«
Scheinbar ungerührt zuckte Marco die Schultern. Wenn er vorankommen wollte, musste er jetzt hart bleiben.
»Verschont wenigstens meinen Sohn«, flehte der Vater. »Vincente möchte doch bald heiraten! Wenn er nun die Arbeit verliert, werden sie ihn sofort in die Armee stecken. Dann ist sein junges Leben in großer Gefahr, und seine Braut …«
»Was könnte ehrenhafter sein, als für seine Vaterstadt zu kämpfen?«, rief Marco. »Bewegt euch jetzt. Raus mit euch. Ich will euch hier nicht mehr sehen!«
Pinos Augen schimmerten verdächtig, als er sein Bündel aus der Ecke holte, während sein Sohn wütend um sich hieb und einem unsichtbaren Feind Fußtritte versetzte. Die anderen Seiler klopften den beiden auf die Schulter und versicherten ihre Unterstützung, aber jeder in der Halle wusste, was der Familie nun drohte. Querini stand als Einziger ein Stück abseits, wie Marco registrierte, dessen Kiefer zu schmerzen begonnen hatte, so fest hatte er ihn zusammengepresst.
Heute hatte sich kein Vogel in die Halle verirrt, der den Ausgang nicht mehr fand. Doch als er unter den wutentbrannten Blicken der Seiler hinausging, fühlte sich Marco ebenso
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