Feuer und Glas - Der Pakt
verwundbar wie jenes kleine braune Geschöpf.
Draußen angekommen, füllte er seine Lungen tief mit Luft. Am liebsten wäre er jetzt erst einmal losgerannt, wie er es als Junge manchmal getan hatte, wenn er die Strenge und Grausamkeit des Waisenhauses nicht mehr ertragen konnte. Doch dazu gab es keine Gelegenheit, denn der Admiral kam auf ihn zugehinkt.
Das erste Mal seit Langem, dass der Alte tagsüber seine Gemächer verlassen hatte. Sein Gesicht war faltenzerfurcht, die hellen Augen unter buschigen Brauen jedoch funkelten angriffslustig.
»Endlich findest du zu deinem alten Format zurück, Bellino«, sagte er. »Scheint doch, als ob du lernfähig wärst! Wie du ihnen gerade eingeheizt hast, hat mir sehr gefallen. Hätte ich selbst kaum besser machen können!«
»Ihr habt mich belauscht?«, fragte Marco.
»Meine Augen und Ohren sind überall, das müsstest du inzwischen doch wissen. Wie soll ich dir vertrauen, wenn ich nicht genau über alles im Bild bin, was du so treibst?«
Ein knurriges Lachen.
»Doch lass uns endlich zu wichtigeren Dingen kommen! Der Doge geht herum wie eine Leiche. Und der Große Rat streitet sich wie ein Haufen Fischweiber, anstatt endlich etwas Kluges zu beschließen. Jetzt müssen wir unseren Verstand zusammennehmen, wenn wir das Blatt wenden wollen. Komm, ich will dir etwas zeigen!«
Das Gehen fiel dem Admiral sichtlich schwer. Schon nach einer kurzen Strecke war seine Stirn schweißnass, und auch sein Rücken färbte sich dunkel. Aber er schien dennoch nicht daran zu denken, sein Tempo zu verlangsamen. Marco musste große Schritte machen, um mithalten zu können.
Wohin wollte der Alte?
Inzwischen waren sie im hinteren Teil des Arsenals angelangt, wo viele der großen Hallen im Laufe der Jahre baufällig geworden waren. Eine jedoch schien noch in halbwegs gutem Zustand zu sein – das erkannte Marco, als sie vor ihr Halt machten. Früher hatte man Holz darin gelagert. Noch heute waren neben dem Steinbau dicke Stämme aufgeschichtet, auf denen allerdings weißliche Salzkristalle bereits ihre Spuren hinterlassen hatten. Das massive Schloss an der Tür verblüffte ihn, und noch mehr erstaunte ihn, dass der Admiral umständlich einen rostigen Schlüssel aus seinem Rock zog und ihm reichte.
»Schließ auf«, befahl er. »Wir sind am Ziel.«
Die Halle war beinahe so hoch wie die Seilerei. Irgendwann musste sie eine stabile Galerie gehabt haben, doch die war inzwischen größtenteils heruntergebrochen. Jetzt gab es nur noch vereinzelte Holzrippen, die in der Luft schwebten wie demolierte Vogelskelette und etwas Bedrohliches ausstrahlten.
»Riechst du nichts?«, fragte der Admiral.
Marco zog die Nase kraus und schnüffelte.
»Schwefel«, sagte er und stutzte. »Und Urin«, fügte er leiser hinzu.
»Richtig!«, rief der Admiral. »Siehst du die Kisten dort hinten?«
Unzählige massive Holztruhen, sorgfältig aufeinandergestapelt. Wann mochten sie ins Arsenal geliefert worden sein? Auf jeden Fall, bevor der Admiral ihn zu seiner rechten Hand gemacht hatte!
»Ja«, sagte Marco. »Nur ein Blinder könnte daran vorbeilaufen.«
»Dann komm!«
Marco folgte ihm. Mit jedem Schritt wurde der stechende Gestank intensiver. Und noch eine weitere Note kam hinzu, etwas Brandiges, das besonders unangenehm roch.
»Damit können wir sie alle schlagen«, sagte der Admiral. »Die äußeren Feinde ebenso wie die inneren.«
Er schlug den Deckel einer Truhe auf und fasste hinein. Als er die Hand wieder herauszog und sie öffnete, lag auf der Innenfläche ein dunkles, grobkörniges Häuflein.
»Aber das ist ja …«
»Schwarzpulver! Oder Donnerkraut, wie die Deutschen es auch nennen.« In den Augen des Admirals glomm ein merkwürdiges Licht. »Um vieles wirksamer als das griechische Feuer der Byzantiner, mit dem sie uns schon einige Male an der Nase herumgeführt haben. Doch damit ist jetzt Schluss. Eine Lunte, ein Funken – und alles ist nur noch Feuer und Rauch!«
»Ihr wollt es gegen die feindlichen Armeen einsetzen?«, fragte Marco.
»Hab ich dir nicht immer wieder gesagt, dass Feuer stets das überzeugendste aller Argumente ist? Möglicherweise wird es ihnen gelingen, Venedig zu betreten. Doch lange überleben würden sie das nicht!«
Marcos Blick flog über die Kisten.
»Aber was wird dann aus uns?«, rief er, während sich die Härchen auf seinen Unterarmen aufstellten, so bang wurde ihm auf einmal zumute. »Damit könntet Ihr ja die ganze Stadt in die Luft jagen!«
»Und mehr als
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