Feuer und Glas - Der Pakt
Wogen und der Flamme, die aus ihrem Innersten gezüngelt war, in Worte fassen? Alles, was Milla dazu durch den Kopf schoss, klang entweder banal oder viel zu bombastisch. Für sie war es gewesen, als hätten elementare Kräfte versucht, sich miteinander zu messen – aber was würde wohl jemand anders davon halten?
»Was genau möchtest du wissen?«, sagte Marin.
Milla fiel auf, wie ähnlich Lucas und seine Stimme klangen, wenngleich die beiden Männer viele Jahre trennten. Sie schluckte, da sie unwillkürlich an Ysas Warnungen denken musste – doch in dem wettergegerbten Männergesicht, das ihr zugewandt war, konnte sie keinerlei Berechnung oder gar Heimtücke entdecken.
»Ich lege mein Herz in Eure Hände«, sagte sie leise.
»Dort ist es gut aufgehoben«, versicherte Marin.
Sein Blick war gütig und gleichzeitig so zwingend, dass sich die Worte plötzlich wie von selbst auf Millas Zunge drängten.
»Was ist das zwischen Luca und mir?«, sagte sie. »Wir sind grundverschieden und können so schnell in Streit geraten. Und dennoch scheint uns etwas aufeinander zuzutreiben. Seinetwegen entzweie ich mich sogar mit meinen eigenen Leuten. Manchmal weiß ich kaum mehr, wohin ich gehöre. Könnt Ihr mir das erklären?«
»Ihr steht beide in einer langen Tradition, Luca als Nachkomme der Wasserleute und du als die Tochter des Feuerkopfs.« Marin hatte den Spitznamen ihres Vaters so warm ausgesprochen, dass Milla stutzig wurde.
»Ihr kennt meinen Vater«, rief sie. »Warum habt Ihr mir das nicht schon früher gesagt?«
»Ja, ich kenne Leandro Cessi – und mehr als das. Wären die Zeiten anders, könnte man uns als Freunde bezeichnen.«
»Dann wisst Ihr auch, was mit ihm geschehen ist?«, rief Milla. »Erlöst mich endlich von dieser entsetzlichen Ungewissheit!«
Marins Gesicht wirkte plötzlich älter.
»Wenn ich das nur könnte!«, sagte er. »Ich dachte immer, du würdest diejenige sein, die dein Vater ins Vertrauen zieht.«
Das hat er auch, wäre es Milla beinahe entschlüpft. Es gibt da einen Brief, dessen Inhalt ich leider nicht zu entschlüsseln vermag – sie presste die Lippen zusammen. Selbst Ysa wusste nichts von ihrem Geheimnis. Nicht anders musste sie es auch bei Marin halten.
Ahnte er, was in ihr vorging?
Plötzlich fiel es ihr schwer, ihm weiterhin direkt in die Augen zu sehen.
»Zusammen mit Leandro wäre es einfacher, das Schicksal Venedigs zu wenden«, fuhr Marin fort. »Er besäße den Mut, die Weitsicht, die notwendige Klugheit. Und die gläserne Gondel, die …«
»Warum sprecht Ihr nicht weiter, Messèr Donato?«, rief sie.
Seine Hand fuhr an seinen Hals, als sei ihm das helle Leinenhemd auf einmal zu eng geworden.
»Sie darf nicht in die Hände der Feuerleute gelangen«, fuhr er fort, während Ganesh unruhig wurde, als hätte man einen Sack Flöhe über ihm ausgeschüttet. »Sonst könnte sie zu einer gefährlichen Waffe werden.«
Millas Lachen klang schrill.
»Das hat meine Tante auch gesagt! Mit dem feinen Unterschied allerdings, dass in Ysas Ausführungen ihr es wart, von denen die größte Gefahr ausgeht. Warum seid ihr alle hinter dieser Gondel her? Wozu braucht ihr sie so dringend?«
Eine Weile blieb es ganz still.
»Um auf die Insel zu gelangen«, sagte er schließlich. »Jene Insel, die du auf der Karte entdeckt hast.«
»Wer die Gondel hat, kann also auf diese namenlose Insel?«, rief Milla.
»Wenn man zu den Feuerleuten zählt. Für uns Wasserleute gelten andere Gesetze. Außerdem hat sie einen Namen. Doch wir sind übereingekommen, ihn nicht preiszugeben.«
»Aber wieso wollt ihr sie dann haben?«, rief Milla. »Erklärt es mir!«
Ganesh griff nach Marins Hand und drückte sie fest.
»Sagtest du mir nicht, dass man mehr als vierhundert Stunden braucht, um eine einzige Gondel zu bauen?« Das unverkennbare Schnarren in seiner Stimme fiel Milla stärker auf als sonst.
»Mindestens«, erwiderte Marin. »Manchmal auch länger.«
»Und wie lange soll es noch dauern, bis der Pakt erneuert wird, damit die Menschen von Venedig wieder in Frieden leben können?«, fragte der Junge weiter. Die dünne Ader an seinem Hals verriet das aufgeregte Schlagen seines Herzens.
»Ganesh, ich weiß nicht, ob …«
»Bitte, Baba«, flehte er. »Erzähl es ihr!«
Marin setzte sich auf die schmale Bank und senkte den Kopf, als müsste er sich sammeln. Als er Milla wieder ansah, waren seine Augen glänzend und klar.
»Manche behaupten, es sei eine Legende – aber widerfährt das
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