Feuer und Glas - Der Pakt
ersten Gäste vor Hunger nicht in die Tische beißen müssen.«
Milla gehorchte ohne Widerrede. Beide wandten Salvatore so demonstrativ den Rücken zu, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als sich mit einem knappen Gruß zu verziehen.
»Du siehst so anders aus«, sagte Savinia, während sie die Schweinefüße mit der vorbereiteten Farce füllte und anschließend in heißem Öl anbriet. »Und jetzt weinst du auch noch! Hat jemand dir wehgetan?«
»Nein«, sagte Milla tränenblind. »Es sind bloß diese dummen Zwiebeln. Geht sicher ganz schnell wieder vorüber!«
Am übernächsten Tag nützte es Milla wenig, sich immer drei Schritte hinter Ysa zu halten, die auf der Piazza von Stand zu Stand schlenderte, um die ausgestellten Glaswaren zu begutachten.
Irgendwann riss Ysa der Geduldsfaden.
»Was ist eigentlich mit dir los?«, fragte sie, die Hände in die Seiten gestemmt. »Schon seit zwei Tagen schleichst du so komisch herum! Gibt es irgendetwas, was ich wissen sollte?«
»Nein.« Milla starrte zu Boden. Den richtigen Moment, Ysa von dem Ausflug nach Murano zu erzählen, hatte sie längst verpasst. Wie hätte sie zugeben können, dass ausgerechnet Luca sie dorthin gerudert hatte? Inzwischen schämte sie sich für diese Unterlassung. Aber ihr war nichts Besseres eingefallen als zu schweigen. »Mir ist nur heiß. Und langweilig – das ist alles.«
»Ich höre wohl nicht recht!«, rief Ysa. »Heute ist der einzige Sonntag des Jahres, wo die Glasbläser ihre Ware in Venedig verkaufen dürfen – und anstatt in Schönheit zu schwelgen, ist Leandros einziger Tochter heiß. Und lang-weilig!«
Sie hatte Milla so perfekt imitiert, dass diese lachen musste, obwohl ihr wahrlich nicht danach zumute war.
Ysa konnte ja nicht ahnen, wie endlos diese Tage und Nächte gewesen waren! Nirgendwo eine Spur von Luca, obwohl Milla immer wieder zur Rialtobrücke gelaufen und sehnsüchtig auf den Canal Grande gestarrt hatte. Mehr als einmal war sie drauf und dran gewesen, zum Haus am Rio Paradiso zu gehen, um ihn zur Rede zu stellen – doch der Gedanke an Alisars spöttischen Blick hatte sie im letzten Moment davon abgehalten.
Lucas Worte klangen unvermindert in ihr nach, verstörten sie, ärgerten sie, ängstigten sie. Was, wenn er ernst machte und sie ihn wirklich nie mehr sehen würde? Ein Gedanke, der so schmerzhaft war, dass Milla ihn schnell wieder zur Seite schob.
Ihre bedrückte Miene allerdings schien sie zu verraten.
»Jetzt schaust du ja schon wieder so finster drein!«, sagte Ysa. »Da ist doch etwas, Milla. Mach mir nichts vor. Willst du es mir nicht lieber verraten?«
»Ysa!« Eine füllige Frau mit tanzenden roten Locken kam auf sie zugerannt. »Ist ja eine kleine Ewigkeit, dass ich dich nicht mehr gesehen habe!«
»Rosaria«, rief Ysa. »Was für eine Freude!« Dann lagen sich die beiden in den Armen und begannen hemmungslos loszuschwatzen.
Das war die Gelegenheit für Milla, sich unbemerkt davonzuschleichen. Der Anblick der Glaswaren, die auf den Holztischen in der Sonne ausgebreitet lagen, um Käufer anzulocken, machte sie eher noch bedrückter, statt ihre Laune zu heben. Unübersehbar forderte der drohende Krieg auch hier seinen Tribut. Waren noch im letzten Jahr kunstvoll verzierte Pokale, Millefiori-Schalen oder Krüge in bester Fadenglastechnik in Hülle und Fülle angeboten worden, so überwogen heute einfache Becher, Schüsseln und Gefäße für den Alltagsgebrauch. Wohin sie auch schaute, überall zögerten die Leute eher, anstatt zu kaufen, und obwohl verbissen gehandelt und lauthals gefeilscht wurde, gelangten kaum gläserne Gegenstände in neue Hände.
Venedig stand kurz vor dem Bankrott, das bewies sogar dieser sonnige Tag, der früher stets ein rauschendes Fest gewesen war, auf das Stadt und Insel gemeinsam hingefiebert hatten. Trotz des wolkenlosen Himmels lag heute etwas Schweres über der Piazza, das sich in den Mienen der Menschen widerspiegelte.
Und noch etwas fiel Milla auf, die sich auf den Stufen des Markusdoms in den Schatten geflüchtet hatte: Die Anzahl der jungen Männer, die dieses Fest sonst benutzt hatten, um öffentlich herumzugockeln und die Mädchen mit ihren Späßen und Galanterien zu necken, war auffallend gering. Durfte man den Gerüchten glauben, die sich überall in Windeseile verbreiteten, so befand sich das venezianische Heer auf dem Weg nach Brescia, um sich zum Angriff auf Mailand zu rüsten. Trotzdem wurden noch immer Tag für Tag neue Soldaten ausgehoben, die die
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