Feuer und Glas - Der Pakt
nicht vielen alten Geschichten, die so oft erzählt werden, bis sich niemand mehr an den wahren Ursprung erinnert?«
Milla lehnte sich an die Wand. Die rauen Planken im Rücken zu spüren, gab ihr ein winziges Stück Sicherheit.
»Und was ist der wahre Ursprung?«, fragte sie. »Doch nicht etwa jene verschwundene Gondel!«
»Sie spielt eine wichtige Rolle. Du weißt, wo sie ist, Milla?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich dachte, sie sei auf Murano. Zweimal war ich dort, um nachzusehen – ohne Erfolg. Jetzt habe ich keine Ahnung, wo ich sonst noch suchen soll. Ihr vielleicht, Messèr Donato?«
»Würde ich dich dann fragen?«
»Und jene alte Geschichte?«, fragte Milla. »Was hat sie damit zu tun?«
»Schon in den frühesten Zeiten kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Menschen, die mit ihren Booten die Lagune befuhren, und den anderen, die sich die Kräfte des Feuers weise zunutze zu machen wussten. Sie hätten erbittert weiter streiten können und sich irgendwann bis aufs Blut bekämpfen. Stattdessen hörten sie auf die Vernunft und schlossen einen Pakt …«
Lautes Klappern unterbrach Marin.
Ganesh hatte ihnen den Rücken zugekehrt und hantierte eifrig an der gemauerten Feuerstelle.
»Das mit dem Krach war bloß ein Versehen«, rief er. »Aber ich glaube, so wird sie dich besser verstehen. Schau her, Milla!« Er zog einen kleinen Topf vom Feuer und hielt ihn ihr unter die Nase. »Siehst du, wie es darin blubbert?«, fragte er.
Milla nickte.
»Feuer kann Wasser zum Kochen bringen, doch irgendwann ist alles verdampft und der Topf leer. Und jetzt der Gegenbeweis!«
Ganesh griff nach einer mit Wasser gefüllten Tonflasche und schüttete den Inhalt über die brennenden Scheite. Es zischte und dampfte, dann war die Glut grau und tot.
»Wasser löscht Feuer aus«, sagte er. »Doch zu welchem Preis?«
Milla sah Marin an, der beifällig nickte, bevor er erneut zu reden begann.
»Feuer und Wasser vernichten sich gegenseitig, wenn sie nicht im Gleichgewicht sind. Und genau da stehen wir jetzt. Der alte Pakt ist zerbrochen. Wir haben Krieg, Milla, und nicht nur gegen die Feinde von außen. Wasser- und Feuerleute sind zutiefst verfeindet. Gibt es keine Aussöhnung, wird Venedig zugrunde gehen.«
»Und die gläserne Gondel könnte das ändern?« Ungläubig sah Milla ihn an.
»Nicht allein. Zwei besondere Menschen müssten bereit sein, alles zu geben – auch ihr Leben.«
Die Stille, die auf seine Worte folgte, schien in Millas Ohren zu dröhnen.
»Jemand, der von den Wasserleuten abstammt?«, flüsterte sie.
»Richtig«, sagte Marin.
»Und ein zweiter, der zu den Feuerleuten gehört?«
»Ein Mann und eine Frau, die Stärksten ihres Volkes. Die, die größte Kraft besitzen. Aber das ist nicht alles.« Seine Lider begannen zu flattern. »Es gibt dabei ein Verdikt, das keinesfalls verletzt werden darf.«
Milla hörte, wie Ganesh die Luft zwischen den Zähnen einsog. Seine dunklen Augen schienen Löcher in ihren Körper zu brennen.
»Die beiden dürfen sich nicht ineinander verlieben«, fuhr Marin sofort. »Sonst wären alle Opfer umsonst.«
Als Milla den Mund zu einer Antwort öffnen wollte, flog plötzlich die Tür auf. Ein Schwall Rosenduft, dann stand Alisar vor ihr, strahlend und mit klimpernden Reifen.
»Was sitzt ihr hier so trübselig herum?«, rief sie. Ihr hellrotes Kleid raschelte, als sie zu Marin lief und ihm einen Schmatz auf die Wange drückte. »Dabei gäbe es doch allen Grund zum Feiern!«
Luca folgte ihr schweigend.
Millas Herz begann wie gewohnt zu hämmern. Hörte das denn niemals auf, wenn sie ihm begegnete? Mit einem Mal fühlte sie sich schwach und wie entblößt.
Kaum hatte er Milla erblickt, machte Luca eine rasche Bewegung, als wollte er auf der Stelle umkehren, doch Alisar packte seinen Arm und hinderte ihn daran.
Finster starrte er Milla an. »Was machst du hier? Hab ich dir nicht gesagt, dass wir …«
»Ich finde, sie hätte sich keinen besseren Ort aussuchen können!« Alisars Lächeln wurde schmelzend. »Magst du Hochzeiten, Milla?«
»Ich weiß nicht«, murmelte Milla, während eine warnende Stimme in ihr aufschrie.
Besitzergreifend lehnte Alisar sich an Luca, während er immer unbehaglicher dreinschaute. Für Milla sah es aus, als wollte sie im nächsten Augenblick mit ihm verschmelzen, während sich ihr eigener Körper plötzlich wie Lehm anfühlte.
»Dann solltest du das herausfinden!«
»Und wie?«
»Nichts einfacher als das! In wenigen Wochen
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