Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Feuer Und Stein

Titel: Feuer Und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
»Nutze das Überraschungsmoment, Mädel, nutze es !«
    Man könnte darüber streiten, dachte ich benommen, wer von uns beiden überraschter war. Ich tastete wie verrückt nach der Tasche, in der mein Dolch war, und verfluchte mich für meine Dummheit, weil ich ihn nicht schon gezogen hatte, als ich die Zelle betrat.
    Der englische Soldat hatte das Gleichgewicht wiedergefunden und starrte mich mit offenem Mund an. Gleich würde dieser kostbare Augenblick der Überraschung vorüber sein. Ich gab die Suche nach der Tasche auf, griff unter den Rock und zog blitzschnell den Dolch, den ich im Strumpf trug.
    Die Spitze der Klinge fuhr dem Soldaten ins Kinn, gerade als er nach seiner eigenen Waffe greifen wollte. Er hob die Hände halb zur Kehle, taumelte langsam an der Wand nach unten, während er sein Leben aushauchte. Auch er war in die Zelle gekommen, ohne zuerst seine Waffe zu ziehen, und dieses kleine Versehen hatte ihn das Leben gekostet. Um ein Haar wäre es mir nicht anders ergangen.
Noch einen solchen Fehler durfte ich mir nicht leisten. Mich überlief es eiskalt. Ich stieg über den zuckenden Körper und vermied es hinzuschauen.
    Ich rannte den Weg zurück, den ich gekommen war, bis zum Treppenabsatz. Dort gab es eine Stelle, wo mich niemand sehen konnte. Ich lehnte mich gegen die Wand und überließ mich einen Moment lang meiner Übelkeit.
    Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und zog den Dolch aus der Geheimtasche hervor. Er war jetzt meine einzige Waffe; ich hatte weder die Zeit noch den Mut, den anderen Dolch aus dem Mann herauszuziehen. Vielleicht war das gut so, dachte ich, als ich mir vorstellte, wie das Blut herausschießen würde.
    Mit dem Dolch in der Hand spähte ich auf den Gang hinaus. Die Gefangenen, die ich unbeabsichtigt befreit hatte, waren nach links gerannt. Ich hatte keine Ahnung, was sie vorhatten, aber zweifellos würden sie die Engländer in Atem halten. Ich wußte zwar nicht, welche Richtung ich einschlagen sollte, aber es schien vernünftig, mich von dem Aufruhr, den sie verursachten, fernzuhalten.
    Das Licht fiel schräg durch die hohen Schießscharten; ich befand mich also auf der Westseite der Festung. Ich durfte auf keinen Fall die Orientierung verlieren, denn Rupert wartete am Südtor auf mich.
    Treppen. Ich zwang meinen benommenen Verstand zum Nachdenken, um vielleicht so den Ort zu finden, den ich suchte. Wenn man vorhatte, jemanden zu foltern, dann brauchte man einen Raum, der abgeschieden und schalldicht war. Ein unterirdisches Verlies wäre dafür am besten geeignet. Niemand hörte die erstickten Schreie dort, und die Dunkelheit verbarg die Grausamkeiten vor den Augen der Verantwortlichen.
    Die Wand am Ende des Ganges hatte eine runde Ausbuchtung. Ich war an einem der Ecktürme angekommen, und diese Türme hatten Treppen.
    Die Wendeltreppe wand sich in einer engen Spirale nach unten.
    In der plötzlichen Dunkelheit des Treppenschachtes stolperte ich mehrmals und riß mir die Hände auf, als ich mich an der Steinwand abstützen wollte.
    Einen Vorteil hatte diese Treppe. Durch eine Scharte, die den Schacht vor völliger Dunkelheit bewahrte, konnte ich auf den Gefängnishof schauen. Immerhin wußte ich jetzt, wo ich war. Ein
kleiner Trupp Soldaten wurde zum Appell gerufen, offenbar, um zu exerzieren, nicht, um der Hinrichtung eines schottischen Rebellen beizuwohnen. Ein Galgen stand im Hof, schwarz und drohend, aber verlassen. Der Anblick war wie ein Schlag in den Magen. Morgen früh. Ich eilte weiter hinunter, ohne mich von zerschrammten Ellbogen oder angestoßenen Zehen aufhalten zu lassen.
    Unten angekommen, blieb ich stehen, um zu lauschen. Totenstille, aber immerhin wurde dieser Teil der Festung benutzt, wie die Fackeln zeigten, die den Granitstein immer wieder in flackerndes Rot tauchten. Im Gewölbe des unterirdischen Ganges hatten sich graue Rauchschwaden gesammelt.
    Es gab nur eine Richtung, in die ich weitergehen konnte. Es war unheimlich, diesen Gang hinunterzuschleichen. Ich hatte derartige Verliese schon früher gesehen, als ich mit Frank historische Schlösser und Burgen besucht hatte. Aber damals waren die massiven Mauern von Neonröhren erhellt worden, wodurch sie weitaus weniger bedrohlich wirkten. Ich erinnerte mich, wie ich mich sogar damals gescheut hatte, die kleinen, dumpfen Kammern zu betreten, obwohl sie seit über einem Jahrhundert nicht mehr in Gebrauch waren. Angesichts der Überreste aus alten, schrecklichen Zeiten, der dicken Türen, der rostigen

Weitere Kostenlose Bücher