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Feuer Und Stein

Titel: Feuer Und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Ketten an der Wand, hatte ich geglaubt, mir vorstellen zu können, welche Qualen die Gefangenen in diesen Kerkern erleiden mußten. Jetzt konnte ich über meine frühere Naivität nur lachen. Es gab Dinge, die man sich, wie Dougal gesagt hatte, einfach nicht vorstellen konnte.
    Auf Zehenspitzen ging ich an verriegelten Türen vorbei, die dick genug waren, jeden Laut von innen zu ersticken. Bei jeder Tür bückte ich mich, um zu prüfen, ob darunter ein Streifen Licht hervorquoll. Gefangene konnte man in der Dunkelheit verkommen lassen, aber Randall brauchte Licht, um zu sehen, was er tat. Der Boden war mit jahrhundertealtem Schmutz bedeckt, und auf allem lag eine dicke Schicht Staub. Offenbar wurde dieser Teil des Gefängnisses nur selten benutzt. Die Fackeln bewiesen jedenfalls, daß irgend jemand hier unten war.
    Unter der vierten Tür fand ich den Lichtstreifen, nach dem ich suchte. Auf dem Boden kniend, preßte ich das Ohr an die Tür, hörte aber nichts außer dem Knistern eines Feuers.
    Die Tür war nicht verschlossen. Ich öffnete sie einen Spaltbreit und linste vorsichtig hinein. Ich traute meinen Augen nicht: Jamie
saß zusammengekauert auf dem Boden, den Kopf zwischen den Knien. Er war allein.
    Der Raum war klein, aber gut beleuchtet, mit einem fast heimelig wirkenden Eisenofen, in dem ein fröhliches Feuer brannte. Für einen Kerker war es hier bemerkenswert gemütlich, der Steinboden war halbwegs sauber, und an der Wand stand ein Feldbett. Es gab sogar einen Tisch mit zwei Stühlen, und darauf befanden sich diverse Gegenstände, unter anderem ein Zinnkrug mit zwei Hornbechern. Was für ein überraschender Anblick - hatte ich doch feuchte Steinwände und huschende Ratten erwartet. Ob sich hier die Garnisonsoffiziere mit jenen Damen trafen, die sie dazu bewegen konnten, sie im Gefängnis zu besuchen? Immerhin war man hier ungestörter als in den Baracken.
    »Jamie!« rief ich leise. Weder hob er den Kopf, noch antwortete er, und ich bekam Angst. Ich schloß die Tür, ging zu ihm und berührte in an der Schulter.
    »Jamie!«
    Er schaute auf; er war leichenblaß, unrasiert und von kaltem Schweiß bedeckt. Im Raum roch es nach Furcht und Erbrochenem.
    »Claire!« sagte er heiser. Seine Lippen waren vor Trockenheit aufgesprungen. »Wie bist du -? Du mußt sofort verschwinden. Er wird bald wieder hier sein.«
    »Sei doch nicht lächerlich.« Ich versuchte, mich mit aller Macht auf das zu konzentrieren, was ich zu tun hatte, und das Würgen in meiner Kehle nicht zu beachten.
    Er war am Fußgelenk an die Wand gekettet, aber ansonsten nicht gefesselt. Allerdings zeigten die Einschnitte an Handgelenken und Ellbogen, wozu der Strick auf dem Tisch gebraucht worden war.
    Sein Zustand verwirrte mich. Er war deutlich benommen, und jede Faser seines Körpers schien zu schmerzen, aber ich konnte keine Verletzungen sehen, kein Blut und keine Wunden. Ich fiel auf die Knie und probierte systematisch einen Schlüssel nach dem anderen an dem Eisenring um sein Fußgelenk.
    »Was hat er mit dir gemacht?« fragte ich flüsternd.
    Jamie schwankte im Sitzen hin und her: Die Augen waren geschlossen, und der Schweiß sickerte ihm in tausend kleinen Perlen aus den Poren. Kein Zweifel, er war nahe daran, ohnmächtig zu werden, öffnete aber kurz die Augen, als meine Stimme zu ihm durchdrang. Mit äußerster Vorsicht hob er mit der linken Hand
den Gegenstand hoch, der in seinem Schoß lag. Es war seine rechte Hand, die fast nicht mehr als solche zu erkennen war. Sie war grotesk geschwollen und sah aus wie eine aufgeblasene Tüte, rot und blau gefleckt, und die Finger standen in verrückten Winkeln ab. Ein weißer Knochensplitter stach durch die zerrissene Haut des Mittelfingers, und ein Blutrinnsal floß über die Fingerknöchel, die unter dem formlosen Fleisch nur noch zu erahnen waren.
    Die menschliche Hand ist ein Wunderwerk der Mechanik, ein höchst kompliziertes System aus Gelenken und Sehnen, mit Millionen von Nervenzellen, die äußerst empfindlich sind. Schon ein gebrochener Finger kann einen starken Mann vor Schmerzen in die Knie zwingen.
    »Heimzahlung«, sagte Jamie. »Für seine Nase - mit Zinsen.« Ich starrte bewegungslos auf das, was ich sah, dann sagte ich mit einer Stimme, die ich nicht als die meine erkannte: »Dafür werde ich ihn töten.«
    Jamies Mundwinkel zuckten in einem Anflug von Galgenhumor, der durch Schmerz und Ohnmacht drang. »Ich halte dir den Mantel, Sassenach«, flüsterte er. Die Augen fielen wieder zu,

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