Feuer Und Stein
Gefängnisses zu gelangen, bevor ich vom Pferd rutschte und mich in den Schnee übergab. Da stand ich nun, Jamies Holzkiste an die Brust gedrückt, und schluchzte, bis Murtagh mich aufs Pferd hob und mich zu dem kleinen Gasthof im Städtchen Wentworth führte, wo Rupert eine Unterkunft für uns gefunden hatte. Wir waren in einem Zimmer im oberen Stockwerk. Die Umrisse des Gefängnisses waren in der Abenddämmerung kaum noch zu erkennen.
»Ist der Junge tot?« Ruperts breites Gesicht war ernst und freundlich; zur Abwechslung spielte er einmal nicht den Hanswurst.
Ich schüttelte den Kopf und atmete tief durch. »Noch nicht.«
Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, ging Rupert langsam im Zimmer auf und ab und dachte nach. Murtagh saß still da, wie es seine Art war, ohne eine Miene zu verziehen. Er hätte einen hervorragenden Pokerspieler abgegeben, dachte ich.
Schließlich ließ sich Rupert mit einem Seufzer neben mir aufs Bett fallen.
»Immerhin ist er noch am Leben, das ist das wichtigste. Aber ich weiß verdammt noch mal nicht, was wir tun können. Wir kommen ja nicht hinein.«
»Doch«, sagte Murtagh plötzlich. »Das Mädel hat doch das mit dem Brief eingefädelt.«
»Mmmmpf. Aber nur ein Mann, und nur bis zum Empfangszimmer des Gouverneurs. Immerhin ein Anfang.« Rupert zog seinen Dolch und kratzte sich mit der Spitze den Bart. »Es ist ein elend großer Kasten, den wir da durchsuchen müssen.«
»Ich weiß, wo er ist«, sagte ich. Da wir nun Pläne schmiedeten, ging es mir wieder besser, und ich war froh, daß meine Gefährten nicht aufgaben, wie hoffnungslos unser Unterfangen auch scheinen mochte. »Wenigstens weiß ich, in welchem Flügel er ist.«
»Wirklich? Hmmm.« Rupert steckte den Dolch zurück. »Wieviel Geld hast du bei dir, Mädel?«
Ich holte alles heraus, was ich in der Tasche hatte: Dougals Beutel, das Geld, das Jenny mir aufgenötigt hatte, und meine Perlenkette. Rupert schob die Perlen beiseite, nahm den Beutel und leerte den Inhalt in seine Hand.
»Das reicht«, sagte er und klimperte mit den Münzen. Er schaute zu den Coulter-Zwillingen. »Ihr zwei und Willie - ihr kommt mit mir, John und Murtagh können hier bei dem Mädel bleiben.«
»Wohin gehst du?« fragte ich.
Er ließ die Münzen in seine Felltasche gleiten.
»Ach«, meinte er unbestimmt, »am anderen Ende der Stadt gibt es noch ein Wirtshaus. Die Wachen vom Gefängnis gehen dahin, wenn sie frei haben, weil’s näher ist und das Bier einen Pfennig billiger.«
Allmählich dämmerte mir, was er vorhatte.
»So, so«, sagte ich. »Würde mich nicht wundern, wenn sie dort auch Karten spielten, was meinst du?«
»Keine Ahnung, Mädel, keine Ahnung.«
Er grinste, und hinter dem schwarzen Bart leuchteten seine Zähne weiß auf.
»Aber wir können ja mal hingehen und nachschauen, oder?«
Am nächsten Mittag stand ich wieder unter dem mit Eisenspitzen bewehrten Fallgitter, das den Eingang von Wentworth seit seiner Erbauung im sechzehnten Jahrhundert verschloß. Es hatte in den darauffolgenden zweihundert Jahren nichts von seiner Bedrohlichkeit eingebüßt, und ich legte die Hand an den Griff meines Dolches, um mir Mut zu machen.
Sir Fletcher dürfte jetzt vollauf mit seinem Mittagsmahl beschäftigt sein, wenn die Informationen stimmten, die Rupert und seine Hilfsspione den Gefängniswärtern gestern abend im Wirtshaus
entlockt hatten. Kurz vor Morgengrauen waren sie mit einer deftigen Bierfahne und roten Augen hereingestolpert. Alles, was Rupert auf meine Fragen zu sagen wußte, war: »Weißt du, Mädchen, zum Gewinnen braucht es nur Glück. Zum Verlieren aber braucht man Geschick .« Er rollte sich in einer Ecke zusammen und war im nächsten Augenblick hörbar eingeschlafen. Ich konnte weiter im Zimmer auf und ab gehen, wie ich das schon die ganze Nacht über getan hatte.
Er war jedoch schon nach einer Stunde mit klaren Augen und klarem Kopf aufgewacht und hatte mir den Plan erläutert, an dessen Ausführung ich mich jetzt machte.
»Sir Fletcher erlaubt nichts und niemandem, ihn beim Essen zu stören. Wenn einer was von ihm will, dann muß er warten, bis er fertig ist. Und nach dem Mittagessen zieht er sich gewöhnlich zu einem Nickerchen in seine Gemächer zurück.«
Murtagh war schon eine Viertelstunde vor mir angekommen und war, da er sich als mein Stallbursche ausgab, ohne Schwierigkeiten eingelassen worden. Vermutlich würde man ihn ins Arbeitszimmer von Sir Fletcher führen und ihn bitten, dort zu warten.
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