Feuer und Wasser (Urteil: Leben!) (German Edition)
die Szene erfasst: die Kleine auf dem Sofa, während der Konzernchef sich über sie beugt.
»Raus!« Es kommt so leise und drohend, dass die Atmosphäre unterschwellig zu vibrieren scheint.
»Aber Mr. Norton, Sie ...« Das klingt nicht danach, als würde den Mann die Tatsache berühren, dass er seinen Boss offenbar gerade in flagranti mit der Assistentin erwischt hat. Was für ein Bastard!
Zum zweiten Mal erhebt Andrew an diesem Tag – und gleichzeitig seit mehr als zwanzig Jahren – seine Stimme. »Raus!«
»Jawohl, Sir ...« Das breite Grinsen ist nicht zu übersehen, selbst wenn Andrew gewollt hätte. Angespannt wartet er, bis der Kretin die Tür geschlossen hat, dann erst wagt er, sie anzusehen. Nicht ohne Angst – doch dafür ist jetzt keine Zeit. Langsam färbt sich nämlich auch ihr Gesicht blau.
Ein Anblick, der ihm den Rest gibt. In kopfloser, grenzenloser Panik schüttelt er die fragile Gestalt. »Josephine! Atmen!«
Längst kämpft er nicht mehr nur gegen ihren Tod, sondern auch gegen seine unaussprechliche Furcht und das, was diese in ihm auslöst. Er will fliehen, sich an einem dunklen, sicheren Ort verkriechen und warten, bis alles gut wird. Denn eines steht fest: Ist er verantwortlich, wird es schiefgehen! Wie immer! Und als Nächstes wird die Welt untergehen und er ...
Norton, du verweichlichter Idiot! Pump deine Eier auf und reiß dich zusammen!
Er kann nicht. Nein!
Benutze einmal in deinem verschissenen Leben deinen Verstand!
Verzweifelt blickt Andrew auf, direkt in ihre vom Todeskampf gezeichneten Augen. Der Blick wird glasig, die Hautfarbe ist inzwischen komplett bläulich. Sie braucht Sauerstoff! Doch wie soll er nur dafür sorgen, dass sie den bekommt?
Norton! Idiot! Aufwachen!
Und endlich macht es Klick .
Andrew bleibt keine Zeit, erleichtert aufzuatmen. Er winkelt ihren Kopf an, zwingt mit Daumen und Zeigefinger den Mund auf, holt tief Luft und bläst sie hinein.
Was für eine Ironie!
Seitdem er sie zum ersten Mal sah, will er diese Lippen berühren, mit Sicherheit jedoch nicht in dem verzweifelten Versuch, Sauerstoff in ihre Lungen zu pumpen, um sie am Sterben zu hindern. Prüfend sieht er auf. Besser – aber noch nicht gut. Und schon wiederholt er die Prozedur … blickt auf ... holt Luft … pumpt sie erneut in ihren Mund … und noch einmal …
… noch einmal ...
… noch einmal ...
Unzählige Male absolviert er diesen Vorgang, bis ihre Haut langsam den bläulichen Ton verliert.
»Josephine! Atme!« Der zierliche Kopf wird heftig hin und her geschleudert, als er sie abermals schüttelt, doch er bemerkt es kaum.
Und dann – endlich – schnappt sie schaudernd und mit einem kräftigen Keuchen nach Luft.
Wieder ist er vor ihr zurückgewichen, denn Andrew ahnt, dass ihre Atemverweigerung etwas mit seiner direkten Nähe zu tun hat.
Hastig richtet sie sich auf. »Sorry!«
»Wie lange geht das schon so?« Nach wie vor ist er aufgewühlt, das Zurückliegende war nicht leicht – für ihn. Für Miss Kent scheint es ja nicht sonderlich bemerkenswert. Dafür, dass sie soeben beinahe gestorben wäre, wirkt sie nämlich äußerst gefasst. Selbstverständlich hält sie es auch nicht für erforderlich, ihrem Chef zu antworten – aber das kennt er ja bereits.
Angestrengt versucht er, sich zu beruhigen und begreift dabei so langsam, dass die Situation sich für ihn geändert hat. Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt – ja – allerdings kann er nicht verhindern, dass ihn die neueste, wundersame Erleuchtung gerade jetzt trifft, während er dabei zusieht, wie allmählich die Farbe in ihr Gesicht zurückkehrt.
Er will dieses Mädchen für sich. Keine Angelegenheit wie mit Lara oder einer der übrigen Frauen.
Anders.
Neu!
Vielleicht könnten sie die Wochenenden miteinander verbringen, eine Reise unternehmen – all die Dinge tun, die er noch nie mit einer weiblichen Person verbunden hat und die bisher nie in seinem Leben Platz hatten. Eventuell wird sie dann und wann sogar in seinem Haus übernachten. In einem der Gästezimmer, zweifelsohne – unvorstellbar, sie bei sich im Bett zu haben, damit sie von seinem allnächtlichen Gebrüll geweckt wird. Sein Schlafzimmer gehört nur Andrew. So war es immer.
Nun ja. Fast.
Unter Umständen wird es ein wenig länger funktionieren als die üblichen drei Monate. Ein halbes, möglicherweise ein ganzes Jahr? Dass er ihrer irgendwann überdrüssig wird, steht fest. So war es bei allen früheren Damen auch. Nun ja, diesem
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