Feuer und Wasser (Urteil: Leben!) (German Edition)
sich jedoch nach zehn Minuten verblüfft dabei, wie er gedankenverloren aus dem Fenster blickt.
Wenn du weiterhin wie Schneewittchen die Vögelchen auf den Bäumchen anglotzt, wirst du das Flittchen entlassen müssen!, knurrt es in seinem Kopf und lässt ihn sichtlich zusammenfahren. Eilig wendet er sich seinem Computer zu, das Gesicht ist die übliche beherrschte Maske, doch in seinem Innern toben die Selbstvorwürfe.
Verdammt noch mal! Er darf sich nicht gehen lassen, schließlich ist er hier der einzige Mensch mit einem funktionstüchtigen Gehirn. Versagt er, ist es vorbei. Aber ein Fortlassen steht nicht auf der Agenda, er kann sie nicht aus seinem Leben verbannen. Alles, nur nicht das! Nach flüchtiger Überlegung greift Andrew zum Telefon .
»Ordern Sie Smith zu mir! In fünf Minuten!«
Als Nächstes beauftragt er Finch fernmündlich, die Nachforschungen über die Kleine zu erweitern. Und sobald er das Gespräch beendet hat, klopft es abermals. Dieser Tag geht darüber hinaus mit Sicherheit als derjenige in die Annalen ein, an dem mit Abstand am häufigsten an seiner Tür um Einlass gebeten wurde.
»Ja.«
Es ist der miese Versager – natürlich. Diesmal ist Andrew dessen mutmaßliches Erscheinen nicht mehr völlig entfallen. Langsam kommt er wohl zu sich.
»Setzen!« Er weist zum Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Nachdem die Ratte Platz genommen hat, mustert der junge Konzernchef sein Gegenüber. Es handelt sich um einen jener Männer, die ihn durch ihr bloßes Erscheinungsbild abstoßen. Kurzes Haar, eng stehende Augen, eine große Nase, schmaler Oberlippenbart über kaum sichtbaren Lippen, schwaches, abfallendes Kinn und maßgeschneiderter Anzug. Seine Frau ist in seinem Alter – Anfang fünfzig – die Sprösslinge längst erwachsen, doch Smith war nie ein Kind von Traurigkeit und macht aus seinen Affären kein Geheimnis. Andrew kamen in der Vergangenheit etliche Beschwerden von Assistentinnen und Schreibkräften über seine vorwitzigen Finger zu Ohren. Offenbar ist der Kerl unter seinem Geschlecht einer der Jäger und Sammler. Und wenn dessen Chef nicht alles täuscht, dann hat der Typ soeben ein neues Objekt der Begierde ausgemacht, das er sich gern in seinen Trophäenschrank stellen würde.
»Ich habe heute Morgen Ihr Memo auf meinem Schreibtisch vermisst«, beginnt der Vorstandsvorsitzende kalt.
Überrascht reißt Smith die Lider auf. »Ich wies Caren ausdrücklich an ...«
»Irrelevant! Mich beschleicht der unerfreuliche Eindruck, Ihr Wort wäre neuerdings nicht vertrauenswürdig.«
Smiths Lächeln wird sanft und geduldig. »Ich denke, Sie überschätzen die gesamte Angelegenheit ein wenig. Diese Expertise ist keineswegs von hoher Brisanz, es handelt sich lediglich um die Kalkulation einiger Einsparpotenziale ...«
»Irrelevant!«, wiederholt Andrew verhalten und fügt kaum vernehmlich ein »Das Gespräch ist beendet.« hinzu.
Als Smith aufsteht, ist der Hass in seinem Gesicht sprichwörtlich.
Gut.
»Wollen Sie noch etwas anmerken?«, erkundigt Andrew sich und ignoriert das entnervte Aufstöhnen des DS.
»Selbstverständlich nicht, Mr. Norton«, grinst der Versager und schickt sich an, das Büro zu verlassen.
»Das Memo!«
Unter Andrews drohendem Blick landet auch das endlich auf dessen Schreibtisch – ausnehmend langsam übrigens, dann neigt die Ratte lächelnd den Kopf, macht kehrt und stolziert aus dem Zimmer.
Eine Zeit lang fixiert Andrew die Tür, die sich gerade hinter seinem größten Widersacher innerhalb der Holding geschlossen hat.
Er war schon besser.
Für einen Außenstehenden mag die kurze Auseinandersetzung klar zu seinen Gunsten entschieden worden sein. Doch Smith erhielt bedeutend mehr Freiraum für seine Frechheiten, als jemals zuvor ein Mensch in diesen Räumen. Und damit sind alle knapp 3000 gemeint. Das sieht Andrew überhaupt nicht ähnlich. Der DS ist auch nicht begeistert.
Habe ich dir schon mal gesagt, dass du ein verdammter Idiot bist, Norton? Mit deinen Gedanken steht es wie mit deinem verdammten Blut: Sie sind überall, nur nicht dort, wo sie hingehören! Ich warne dich, du verträumte Arschgeburt!
Blödsinn!, widerspricht er ärgerlich. Aber als Gail den Anruf seines Vaters ankündigt, ist Andrew nicht verblüfft, wie es eigentlich der Fall sein müsste, sondern bemerkenswert froh. Das Ergebnis einer Fehde mit dem DS steht nämlich nicht zur Debatte – der haushohe Sieg ist dem sicher.
Er ordert einen Kaffee – sein Hauptnahrungsmittel – und nimmt
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