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Feueraugen I. Das Dorf

Feueraugen I. Das Dorf

Titel: Feueraugen I. Das Dorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Zeram
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Zeramov weiß es. Überhaupt hat sich Baldwin in wenigen Jahren sehr an seine Mitarbeiter gewöhnt. Mag er auf dem wortkargen Cassius herumhacken und ihn oft genug einen 'Schwachkopf' schimpfen - selbst für ihn empfindet er eine Art väterliches Gefühl.
    'Meine Kinder' ... das haben sie alle schon oft von ihm gehört.
    Baldwin ist ihr manchmal strenger, oft unerträglich cholerischer, oft auch hysterischer Chef - aber seine guten Seiten wissen alle zu schätzen.
    Alleine Baldwins nervös-hektische Natur, sein ungehaltenes -vielleicht sogar etwas anmaßendes- Auftreten, könnten auf der anderen Seite den Einheimischen unsympathisch gewesen sein. Bescheidenheit und Zurückhaltung sind natürlich keine seiner hervorstechenden Eigenschaften.
    Auch seine Mitarbeiter im Wagen Dr. Glück-lichs dürften den Dorfbewohnern suspekt erschienen sein.
    Der Signore und sein Freund Ricci: Ein arroganter Riese und ein dürrer Kerl mit wässrigen Augen; einen anderen ersten Eindruck gewinnt man selten von diesem Paar und alle wissen das. Die extravagant-modisch herausgeputzte Marlène und der zum ewigen Flirt mit dem weiblichen Geschlecht bereite Michel sind ebenfalls keine alltäglichen Gestalten – schon gar nicht in einem abgelegenen Dorf. Gegen den Doktor sprechen seine abgetragene Kleidung und sein äußeres Erscheinungsbild. Seine weit aus dem furchigen Gesicht hervorstehende Nase verleiht ihm etwas Vogelhaftes. Dass er sich des Deutschen nur unter vielen Anleihen seiner Muttersprache bedienen kann, ist ihm zwar nicht vorzuwerfen, doch viele stört es, wenn er die Grammatik verdreht und sein Dialekt immer wieder Missverständnisse mit sich bringt. Cassius hat ähnliche Vorurteile gegen sich – schon bedingt durch Körpergröße und Hautfarbe. Wenn Zeramov auf den ersten Blick wie ein normaler, gar ordent-licher Bürger aus einer westlichen Großstadt wirken kann, dem man vielleicht sogar Sympathie und auch Vertrauen entgegenbringen möchte, sein böser Zynismus stößt ab und zu sogar in der eigenen Mannschaft auf Ablehnung.
    Wie also sollte auch nur einer von ihnen in diesem Dorf jemanden für sich einnehmen können? Wie wollte sich einer der Dorfbewohner für diese Leute einsetzen, wo man hier seit jeher jedem Fremden mit Misstrauen und Ablehnung entgegen tritt?
     
    *         *         *
     
    Sie fahren sehr schnell!
    Mit kreischenden Reifen biegen die beiden Wagen in die Hauptstraße ein. Auf zweihundert Metern liegt hier fast alles, was die Dorfbewohner brauchen: das Rathaus, die Kirche mit dem kleinen Friedhof dahinter, ein paar Geschäfte, die einzige Tankstelle weit und breit, und natürlich auch das obligatorische Wirtshaus - die Herberge, in der die Baldwinschen untergekommen sind.
    Als sie vor dieser anhalten, fällt Zeramov sofort ein etwas abseits geparktes Gefährt auf. Rein vom Äußeren fühlt man sich hier an einen Leichen-wagen erinnert - aber offensichtlich ist es keiner.
    "Kennen wir den Wagen da drüben nicht?" fragt Baldwin beim Aussteigen.
    "Ich möchte wetten, dass Mr. X so einen fährt. Auch das Nummernschild ... ein luxemburgisches Kennzeichen." Zeramov geht als Erster hinüber.
    Kurz darauf umstehen sie alle den Wagen und versuchen durch die getönten Scheiben in dessen Inneres zu sehen.
    "Alles mit Samt ausgeschlagen. Sehr teuer ... sehr erlesen!" findet Michel. "Der Besitzer hat Geld."
    "Trotzdem ist es geschmacklos, sich einen Leichenwagen umbauen zu lassen." Ricci gibt sich indigniert.
    "Aber dieser bordeauxrote Samt harmoniert ausgezeichnet mit der schwarzen Farbe der Karosserie." verteidigt der Signore den Geschmack des Besitzers.
    "Trotzdem möchte ich wissen, ob ich mich täusche oder nicht!"
    "Meinen Sie wirklich, Monsieur Baldwin? – Monsieur X?" fragt Marlène.
    "Genau! - Wenn Mr. X nicht so einen Wagen fährt, dann will ich nie wieder einen Film drehen", erwidert der.
    In diesem Moment wird Geschrei in der Herberge laut. Sekunden später erscheint der über zwei Meter große Wirt in der Türe. In sich hinein schimpfend nähert er sich Baldwin und den anderen. Erst jetzt bemerken sie die beiden Koffer, die der Mann trägt.
    "So!" Der Wirt schnaubt wie ein erhitztes Pferd durch die Nase und lässt die beiden Koffer direkt vor Baldwins Füße auf den Boden fallen. "Und ihren Bekannten erklären sie, dass wir hier auf solche Leute nicht scharf sind!" damit wendet er sich sofort wieder ab. Alle sehen ihm erstaunt nach.
    Kaum ist der Wirt in der Eingangstüre seines Hauses

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