Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feueraugen I. Das Dorf

Feueraugen I. Das Dorf

Titel: Feueraugen I. Das Dorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Zeram
Vom Netzwerk:
bin ich einer der wenigen, die das überhaupt noch können."
    Der Alte sitzt da und starrt vor sich hin. Seine Miene verdüstert sich, als er aufsieht. Er hat bemerkt, wie erwartungsvoll ihn alle anstarren. Alle umstehen ihn dicht gedrängt - auch einige Dorfbewohner wollen seine Geschichte hören ... Jüngere vor allem, die damals noch nicht gelebt haben oder von dieser Begebenheit aus den Annalen des Dorfes nichts wissen.
    "Im Sommer '45 war es. Ich war grad ein paar Wochen wieder daheim. Ein älterer Herr kam ins Dorf, quartierte sich in unserer Herberge ein und begann die Leute auszufragen. Er wollte Genaueres über ein schweres Verbrechen erfahren. Im Sommer '43 nämlich, da hat man den Genter-Hof überfallen. Die zehn Bewohner wurden grausam ermordet, der Hof angezündet. Nie ist das Verbrechen aufgeklärt worden ... und im Krieg war sowieso keine Zeit für so was. Also dachten wir alle, dass endlich einer von der Polizei gekommen ist, um der Sache nachzugehen. Aber der Mann war nicht von der Polizei. Das haben wir rausgefunden - allerdings - erst nachdem wir ihm das alles erzählt haben, was er wohl wissen wollte. Er war so ein Forscher ... hat Sprachen und alte Sachen untersucht – wie ein Archäologe oder so was. Ein Wissenschaftler eben!"
    "Wie der Mann hieß – können Sie sich noch daran erinnern?" fragt Zeramov.
    "Ja, doch ... Kalfater ... so hieß er. Na und dann hat er sich den Nagor geschnappt und sich mit ihm zusammengesetzt. Lange Abende haben die beiden miteinander geredet. Am Anfang erzählte uns Nagor noch ein wenig von diesen Gesprächen - dass der Herr Kalfater eben dem Unrecht nachspüre. Aber dann ... nach und nach ... bekamen wir nichts mehr aus ihm heraus. Kalfater hat Nagor Geld gegeben, damit er niemandem etwas sagt. Und dann sind die beiden in die Ebene hinausgezogen. Zuerst in nordwestliche Richtung, dann nach Nordosten ... immer in nördlich Richtung jedenfalls. Schließlich reiste der Herr wieder ab."
    "Ja - aber zuvor haben Sie doch erzählt, dass Sie zusammen mit dem Sohn des Krämers ..."
    Der Alte winkt ab und Baldwin verstummt.
    "Kalfater kam wieder. Und im Frühjahr '47 - ja, das muss in dem Jahr gewesen sein - da zogen sie erneut hinaus. Mehrere Wochen lang suchten sie rum und keiner von uns wusste, was genau sie suchten. Dann kam der Abend, an dem sie zurückkehrten und verändert waren. Ein paar Tage später ging der Sohn des Krämers mit ihnen und von Kalfater haben wir nie wieder etwas gehört. Vielleicht hat er Nagor auch gar nicht mit dahin genommen, wo er hin ist. Ach, ich weiß nicht. Manchmal zweifle ich daran, ob ich mich an alles ganz richtig erinn're. Oft denk' ich mir, dass alles vielleicht ganz anders gewesen ist."
    "Ja, aber ..." die Baldwinschen sind verständlicherweise enttäuscht.
    "Als der Sohn des Krämers zu uns zurückkam, sind einige hinaus auf die Ebene, um nach dem Herrn und Nagor zu suchen. Sie fanden nur den Lagerplatz mit dem kleinen Zelt und den Schlafdecken - sonst nichts!"
    "Also hat Kalfater diesen Nagor nicht irgendwohin entführt!" folgert Marlène.
    "Konn man's wissen?" Dr. Glücklich ist gar nicht wohl bei der Sache. "Zehn Jahre später – no dos wiss' mer ja inzwischen."
    "Da war auch ein Fremder da!" fügt eine weißhaarige Frau hinzu, der man ihre einstige Schönheit noch ansehen kann.
    "Noch ein Fremder?" Zeramov hebt kurz den Blick von seinem Notizblock. "Wissen sie, wie er hieß?"
    "Nee ... der war nur auf der Durchreise!"
    Der Greis ist verstummt. Er sitzt zusammengesunken auf der Bank und sieht zu Boden.
    "Orrendo ... eine schauerliche Geschichte!" findet der Signore.
    "Ja, besonders für uns, liebe Leut'!" erklärt Zeramov. "Wir waren nämlich gestern Nacht draußen auf der Ebene und mussten in unseren Wagen übernachten. Heute Morgen fehlte einer von uns und wir haben ihn noch nicht wieder gefunden."
    Ein Aufschrei geht durch die Runde der Nachbarn, als Zeramov dies sagt.
    "Und deshalb interessieren wir uns so sehr für diese Vorfälle, guter Mann!" bringt Baldwin unter Anstrengung hervor. Er ist den Tränen nah. Rodolphe gibt er fast schon verloren. Die eigene Machtlosigkeit, etwas Entscheidendes zu unternehmen, lähmt ihn zusätzlich. Was tun? Wer kann helfen? Wer weiß noch mehr?
    Baldwin schlurft davon - bis auf Zeramov und X folgen ihm seine Leute.
    "Sagen Sie... diese Alte, die uns hierher geschickt hat ..."
    "Die Fera?" die Frau mit dem Kind auf dem Arm, beginnt zu fluchen und zu schimpfen.
    "Ja, so heißt sie wohl. Was

Weitere Kostenlose Bücher