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Feuerbande

Feuerbande

Titel: Feuerbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Otten
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unendlicher Zahl hereingespült werden mit der Kraft des Wintersturmes, der in den Wald seine Schneisen schlägt. Sie werden es sich untertan machen, mit derselben unbeugsamen Gewalt. Sie sind so viele, und wir waren nur wenig.
    Manchmal glaube ich, ich bin allein, und vielleicht ist es auch so gekommen. Ich kann die anderen nicht mehr spüren, nicht hier jedenfalls, nicht in dieser Welt. Vielleicht gibt es nur noch mich allein, und ich bin alt und müde geworden. Müde des Kämpfens, müde in dieser Einsamkeit, die die Ungewissheit mit sich bringt und die Sehnsucht nach denen, die einmal waren in Tagen, als die Welt anders war. Die Müdigkeit ist mir willkommen, ich lasse mich wiegen wie Äste im Wind, dahintragen wie auf weichen Schwingen.
    Ist das der Beginn meiner Großen Reise?
     
    Etwas war heute anders als sonst. Ich konnte es nicht genau benennen, doch ich spürte es, atmete es mit der Luft, hörte es in den Schatten wispern. Und es beunruhigte mich so, dass ich in der Arbeit innehielt und den Besen hart in die Ecke stellte.
    Ich öffnete die Fenster weit, ließ die Geräusche des Waldes hinein. Es hatte in der Nacht geregnet, und schwer mischten sich der Duft von nasser Erde und feuchtem Gras mit dem Morgenwind. Ich wäre gern spazieren gegangen, doch ich wusste, dass ich das Haus jetzt nicht allein lassen durfte. Das Haus, dessen Hüterin ich war, das Haus, dem ich diente, das mich hier duldete aus diesem einen einzigen Grund, der mein Lebensinhalt war.
    Das Unruhegefühl verstärkte sich, und ich schloss die Augen, atmete tief und versuchte, in Gedanken die Herrin zu erreichen. Ihre Strömungen waren weit fort, sie rief nicht nach mir und schien heute keine Schmerzen zu haben. Und dennoch, dennoch...
    Behutsam löste ich den Kontakt, setzte mich an den schweren Holztisch in der Mitte des Raumes und schloss die Augen. Vorsichtig, sacht, ließ ich mich treiben, spürte in konzentrischen Kreisen durch das, was war – um mich herum – in diesem Zimmer – in diesem Haus – nichts Ungewöhnliches, keine Gefahr...
    Ich holte noch einmal langsam und tief Luft, presste die Hände gegen die Stirnseiten, fühlte den feuchten Schweiß der Anstrengung, die ich durchführen musste, für meine Herrin, für mich selbst. Eine Maus raschelte durch das Gras, ein Eichhörnchen erwachte, am Teich versuchte ein Reiher, zu landen... nichts Ungewöhnliches, keine Gefahr...
    Meine Hände begannen zu zittern, das Unruhegefühl ließ nicht nach. Es schien im Gegenteil in langsamem Rhythmus stärker zu werden, gleichmäßig stärker, Schritt für Schritt... jemand näherte sich... jemand, der nicht hierher gehörte... er kam näher, er kam näher...
    Würde das nie ein Ende haben?
    Voll verzweifelter Wut sprang ich auf, spürte plötzlich die Kälte, die von draußen durch das Fenster drang. Es war ihre Kälte, die sie jedes Mal ankündigte, wenn sie kamen, wenn man nur wusste, worauf man zu achten hatte. Ich schloss das Fenster und merkte, wie ich fror, doch das war nicht nur die Kälte allein.
    Bei der Herrin und ihrer Macht, würde es denn nie enden?
    Die Herrin. Noch immer schlief sie, und ich wusste nicht, ob ich mir wünschen sollte, dass sie erwachte. Ich war hier, um ihr zu dienen, und dienen würde ich ihr mit meinem Leben. Doch die Nächte waren lang, in denen ich lag und die Bilder sah, die sie vor mir verborgen dachte, wohl verwahrt und wohl verschlossen, dass sie mich nicht bekümmerten. Die Bilder, die immer stärker wurden, je mehr sie ihre Kräfte verließen.
    Ich schluchzte, als ich ihn spürte, wie er näher und näher kam. Unaufhaltsam. Unerbittlich. Und die Wolke aus Kälte hüllte ihn ein.
     
    Joris fluchte, als er über eine Baumwurzel stolperte und sich gerade noch abfangen konnte, ehe er unsanft im dichtesten Dornengestrüpp gelandet wäre. Verdammt, er hätte schwören können, dass die Wurzel gerade noch nicht da war. Inzwischen war er fast versucht, die Geschichten zu glauben, die man sich drunten im letzten Dorf erzählt hatte – als man ihn händeringend bat, nicht weiterzugehen, sein Schicksal nicht herauszufordern. Niemand, der diesen Weg gegangen war, war je wieder zurückgekommen. Niemand, so beteuerten sie.
    Wie Devall.
    Joris biss die Zähne zusammen und hieb sich mit der Axt eine Bresche durch das Unterholz. Er durfte sich nicht von seinen Gedanken ablenken lassen, denn so etwas wie dieser Wald war ihm bisher noch nie begegnet. Wie lange war es her, dass er das Dorf verlassen hatte – vier

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