Feuerbande
rief ich und stand auf. Als ich die Tür öffnete, starrte mir einer der Diener entgegen, ein breiter Mann mit dickem Schnurrbart.
„Wer seid denn Ihr?“, fragte er erstaunt. „Und wo ist Lord Raymon?“
Es gibt Momente, da gehen einem tausend Dinge durch den Kopf, und man meint, die Zeit wäre zäh wie Honig, während in Wirklichkeit doch nur wenige Sekunden verstreichen. Und meine Gedanken überschlugen sich, wirbelten in meinem Verstand durcheinander, während mein Mund sich wie von selbst öffnete und ich meine eigene Stimme hörte: „Er fühlte sich nicht besonders wohl. Ich bin gekommen, um nach ihm zu sehen.“
Und ich hoffte, dass sie nicht so heiser klang, wie ich selbst den Eindruck hatte, und dass es im Raum dunkel genug sein würde, um nicht wirklich hineinblicken zu können.
Der Mann musterte mich eindeutig misstrauisch. „Wer seid Ihr denn?“, wiederholte er. „Sollte man nicht Lord Hrothgar informieren, damit er seinen Leibarzt heraufschickt?“
„Ich bin ein Diener seiner Lordschaft“, versuchte ich, überzeugend zu sein. Sollte der Mann in Hrothgars Diensten stehen, würde er wohl kaum das gesamte Gefolge seines Bruders kennen, und falls er zu Raymon gehörte, dürfte es umgekehrt ebenso sein. „Lord Raymon wünscht, noch ein wenig zu ruhen. Das Bankett kann ruhig schon beginnen, er wird nachkommen, sobald er sich besser fühlt. Und jetzt würde ich Euch raten, ihn nicht länger zu stören.“ Ich beugte mich verschwörerisch vor. „Seine Lordschaft hat heute eine wirklich mörderische Laune.“
Und damit schloss ich die Tür vor seiner Nase, lehnte mich von innen davor und versuchte, meinen rasenden Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich musste hier verschwinden, und das so schnell wie möglich, soviel war klar. Egal, was Aldric oder wer auch immer sagen mochte. Jetzt ging es in erster Linie um mich selbst – und darum, mit heiler Haut aus diesem Schlamassel herauszukommen.
Mein Blick fiel wieder auf den Teppich, der inzwischen mit der Dunkelheit des Zimmers verschmolz. Und in mir reifte eine Idee, geboren aus meinem Zorn auf Aldric, meinem Hass auf Ihre Lordschaften und meinem Bestreben, mich unter einem Vorwand unbeschadet durch die Burg auf den Ausgang zu bewegen zu können. Und ich hätte sogar beinahe gelacht.
Vorsichtig hob ich den Teppich an, zog den Brief wieder heraus und warf mir die Rolle über die Schulter. Dann öffnete ich die Tür, gerade, als ich von unten Stimmen hörte – offenbar beriet sich die Dienerschaft, was sie jetzt unternehmen sollte. Sorgfältig schloss ich die Tür wieder und schritt leise die Stufen hinab, bemüht, mein Gesicht stets im Dunklen und durch den Teppich verborgen zu halten. Sie waren so eifrig in ihre Rederei vertieft, dass sie kaum auf mich achteten, und ehe sich einer nach mir umdrehen konnte, war ich schon in einem Gang verschwunden.
Ich überlegte, wählte ziellos mal diese, mal jene Abzweigung. Hier wurden die Gänge breiter, waren prächtiger ausgestattet – ich näherte mich dem Hauptteil der Burg. Und hier wurde ich auch das erste Mal angehalten, von einer bewaffneten, finster dreinblickenden Wache.
„He, du! Wer bist du, und was willst du hier?“
Ich versuchte, ein möglichst unschuldiges Gesicht aufzusetzen. „Lord Raymon schickt mich mit einem Geschenk zu Lady Elinor. Weil es ihm nicht so gut geht, kommt er nicht persönlich. Sie hatte ihm aufgetragen, einen solchen Teppich für sie zu besorgen, und es ist ihm auch tatsächlich gelungen.“
„So?“ Er schien nicht sehr überzeugt. „Woher weiß ich, dass du darin nicht etwas verbirgst? Aufrollen!“
„Gern.“ Ich kam seiner Aufforderung nach, und er konnte trotz offensichtlicher Bemühungen nichts Ungewöhnliches daran entdecken. „Seht Ihr – alles in Ordnung damit.“
„Trotzdem werde ich mich lieber selbst darum kümmern – ich kenne dich nicht, Bursche, obwohl du mir irgendwie bekannt vorkommst. Habe ich dich schon mal gesehen?“
„Sicher heute bei der Ankunft in Lord Raymons Gefolge“, beteuerte ich. „Seine Lordschaft bat darum, den Teppich über Lady Elinors Bettstatt auszubreiten, damit sie ihn direkt so findet, wenn sie vom Bankett zurückkehrt – als freudige Überraschung, versteht Ihr.“ Ich fingerte den Umschlag aus meinem Hemd. „Und dies hier ist für Lord Hrothgar, darin steht der Preis, den er Lord Raymon für den Teppich schuldet. Würdet Ihr so freundlich sein, ihm den auf seine Bettstatt zu legen? Ich denke, dass
Weitere Kostenlose Bücher