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Feuerbande

Feuerbande

Titel: Feuerbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Otten
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Tage, eine Woche, zwei? Die Zeit schien hier zu verschwimmen, der wilde Wald um ihn her nahm kein Ende, und manchmal fragte er sich, was er überhaupt zu finden hoffte, wohin er ging, ob er jemals sein Ziel erreichen würde – und verdrängte dabei die Befürchtung, vielleicht auf ewig im Kreis zu laufen, hier, wo eine Stelle aussah wie die andere. Nachts wagte er kaum, zu schlafen, bis ihn die Erschöpfung schließlich doch übermannte, denn obgleich ihm hier noch keine greifbare Gefahr begegnet war, besaß er doch Fantasie genug, zu ermessen, was sich alles im undurchdringlichen Dickicht verbergen mochte. Und die versteckten Laute im Unterholz, mehr geahnt als gehört, reichten völlig aus, ihn ständig auf der Hut sein zu lassen.
    Hin und wieder kreuzte eine Quelle oder ein kleiner Bach seinen Weg, so dass er seinen Durst stillen konnte, doch etwas für seinen Hunger zu jagen wagte er nicht und kaute nun die letzten Reste des Reisegebäcks, mit dem ihn die Dörfler versorgt hatten. Sobald es hell genug dafür wurde, marschierte er weiter, doch durch die unwegsame Gegend kam er nur sehr langsam voran.
    Erneut ragte eine Wurzel vor ihm aus dem Boden, und als er über sie hinwegklettern wollte, erkannten seine geschärften Sinne das Aufblinken eines Gegenstandes, der nicht in die übrige Umgebung zu passen schien. Er beugte sich hinunter, teilte das Moos mit seinen Händen, wobei er mit einem neuen Fluch einen ihm unbekannten Käfer von seinem Handrücken schüttelte, und hielt etwas Glattes in seinen Händen – klein, rund und glänzend.
    Bilder aus vergangenen Zeiten: Ein Jahrmarkt zu Füßen der Grauen Burg, und Devall am Stand des dicken Krämers. Diese Knöpfe und sonst keine wollte er zu seinem Wams, er hätte sie sich niemals leisten können, und sie alle hatten dafür gespart, um ihn am Tage seines Aufbruchs damit zu überraschen. Devall, der völlig überwältigt war, während Joris ihn noch damit aufgezogen hatte, dass sie ihm ja nachts den Weg leuchten könnten. Anniken, die sie für ihn an den Stoff genäht hatte, während sie heimliche Tränen vergoss.
    Joris’ Hand umschloss den glitzernden Knopf und steckte ihn in seine Tasche. Er war nicht mehr weit von seinem Ziel, das spürte er. Gar nicht mehr weit. Gar nicht...
    „Devall?“
    Seine Stimme klang so fremd und heiser, dass er selbst davor erschrak. Devall war nicht hier. Und doch... Er runzelte die Stirn und ließ seinen Blick noch einmal über die Lichtung schweifen, auf die hinaus er getreten war. Dort vorne standen die Büsche dicht – unnatürlich dicht -, so, als steckte eine Absicht dahinter...
    Er sprang über einen Bach, den er noch im letzten Augenblick bemerkte – war dort nicht gerade noch Gras gewesen? – und lief hinüber zu den Büschen, bahnte sich seinen Weg mit der Holzaxt, achtete nicht auf die Äste und Zweige, die sich seltsam bogen unter seinen Hieben... als wären sie auf eigenartige Weise lebendig. Joris schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf, um sich von solchen Gedanken zu befreien. Er brauchte jetzt seine gesamte Aufmerksamkeit für das, was vor ihm lag – was immer es auch war.
    Mit einem letzten, kräftigen Schlag ließ er das Buschwerk hinter sich und trat auf die kleine Wiese hinaus, die ein Haus unter zwei mächtigen Bäumen umschloss.
     
    Etwas stört meine Träume, doch ich will mich nicht stören lassen. Ich habe nicht mehr die Kraft dazu. Ruhen will ich, und ruhen muss ich, um meine letzte, die Große Reise anzutreten, denen zu folgen, die vor mir gingen.
    Ich weiß, sie warten schon lange auf mich. Ich kann mich nicht länger widersetzen. Und doch... was wird, wenn ich gegangen bin? Das Haus wird zerfallen, der Wald wird es in sich aufnehmen, es wird vergehen wie die Zeit, aus der es einst entstanden ist. Doch was wird mit Jacyntha werden?
    Es ist mir nicht möglich, sie mitzunehmen, selbst wenn sie bereit wäre zu diesem Schritt. Kann sie denn je unter Menschen leben? Ist sie bereit für diese Welt – und für ein Leben ohne mich?
    Es zieht mich fort auf die Große Reise, doch der Aufbruch ist schwerer als alles zuvor.
     
    Der kalte Schweiß klebte noch immer an mir, als sich die Schritte, die alles vibrieren ließen, der großen Holztüre näherten. Kein Wächter hatte ihn aufhalten können, sein eiskalter Hass, der ihn vorwärts drängte, gefror alles um ihn herum, trieb ihn unaufhaltsam voran, wie der Winter den Schnee unter die Bäume treibt und der Frost die Eisdecken auf Tümpel und

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