Feuerbande
den fremden, huschenden Gestalten. Man ließ sie in der Küche arbeiten und bei allem helfen, was noch zu tun war, und manchmal rief der Yaksha sie zu sich, um einfach nur mit ihr zu reden. Er schien interessiert daran, alles über die Menschen zu erfahren, und als sie schließlich merkte, dass er ihr nichts zuleide tun würde, wich ihre Angst einem großen Heimweh.
Der Yaksha verstand das nicht und sah sie mit seinen roten Augen an, die niemals dabei blinzelten. „Dies hier ist jetzt deine Heimat. Du bekommst zu essen und es geht dir gut. In deinem Leben da draußen hast du gehungert. Warum willst du dorthin zurück?“
„Ich bin ein Mensch“, sagte Amida, „und ich will unter Menschen sein. Für diese Welt bin ich nicht geschaffen. Und es ist so eng in diesen Mauern, die ich nicht verlassen kann.“
Der Yaksha knurrte und schüttelte sein Fell. „Du wirst dich daran gewöhnen, denn du bleibst hier.“
Und damit war für ihn alles gesagt.
Mit der Zeit wurde Amida traurig, und auch das blieb dem Yaksha nicht verborgen. „Mein Palast kann wandern“, erklärte er ihr. „Wir fliegen einfach dorthin, wo immer du willst. Du wirst fremde Dinge sehen und Orte zum Staunen. Du kannst dort sein und gleichzeitig hier.“
Dann begann eine Zeit der Reisen. Wenn Amida morgens erwachte, wusste sie nie, was draußen sein würde, wenn sie auf den hohen Palastmauern stand. Schauen war alles, was sie konnte, denn hinaus durfte sie nie. Türen und Fenster verschlossen sich, sobald sie es auch nur versuchte, und sie hatte es oft versucht, immer vergeblich.
Manchmal blickte sie auf dichte Baumkronen endloser Wälder, aus denen seltsame Geräusche zu ihr hochdrangen und Vögel schrille Schreie ausstießen. Manchmal war es das weite Meer, das sich zu Füßen der Mauern ausbreitete, mit silbernen Schaumkronen auf den Wellen. Dann wiederum war es eine Wüste, heißer, trockener Sand in Mustern, die der Wind in ihm gezeichnet hatte, oder eine Steppe, in der Grasbüschel wogten. Schnee und Eis konnten es sein oder auch hohe Berge, deren Spitzen in nebligen Wolken verschwanden. Immer wieder war die Umgebung neu, immer wieder fremd und anders, bevölkert mit seltsamen Tieren und Pflanzen.
„Siehst du“, sagte der Yaksha stolz. „Niemand ist je so gereist wie du. Niemand sonst hat dies alles gesehen. Du solltest dich glücklich schätzen, bei mir zu sein.“
Doch Amida war nicht glücklich, gleich, was sie zu sehen bekam, gleich, was der Yaksha ihr alles zeigte. In ihrer arbeitsfreien Zeit verbrachte sie Stunden auf der oberen Mauer und schaute auf das Land hinab, von dem sie wünschte, dort sein zu können, gleich, wo dieses „dort“ auch war. Zu sein, wo andere Menschen lebten, wo sie frei war, zu gehen, wohin sie wollte.
„Du vermisst dein karges Leben so sehr, dass alles, was ich dir biete, dagegen immer noch nichts zählt?“ Der Yaksha verstand es nicht und fletschte die Zähne.
„Alles hier ist nicht wirklich für mich“, erklärte Amida mit traurigem Blick. „Ja, es ist schön und wild und fremd, aber es ist nicht meine Welt. Ich bin ein Mensch. Ich gehöre nicht hierher.“
Wie lange noch? Wie lange schon?
Zeit hatte hier keine Bedeutung.
Schritte, die sich langsam näherten. Amida drehte sich herum und zog den Stoff ihres grünen Gewandes zurecht, grün, seine Farbe, die Farbe der Bäume.
„Was gibt es für mich zu tun?“, fragte sie und begegnete dem roten Yaksha-Blick.
„Du kannst gehen“, knurrte das zottige Wesen. „Schau über die Mauer. Du bist daheim.“
Amida traute ihren Ohren kaum. Rasch blickte sie über die Mauer hinab, und ja, das war das Land, das sie kannte, das Wäldchen, die Felder, das Dorf in der Ferne.
„Ich danke dir“, stieß sie hastig hervor und wäre am liebsten die Treppe hinuntergeeilt. Doch ohne einen Abschied wollte sie nicht gehen. „Ich werde die Zeit hier nie vergessen und all das, was ich bei dir sehen durfte.“
„Ich habe die Welt in dir gesehen, und sie war fremd und neu für mich. Geh nun und werde wieder glücklich.“
Der Yaksha machte ein seltsames Zeichen, und der Palast verschwand mit seinen Zaubern und Wundern. Amida schwebte sanft zu Boden, und als ihre Füße die Erde berührten, fand sie sich nah ihres Dorfes wieder, und alles war so, wie sie es kannte, als wäre sie niemals fort gewesen.
Doch um ihren Hals trug sie eine goldene Kette, und sie wusste, sie würde nie wieder Hunger leiden müssen.
„Danke, Yaksha“, flüsterte sie.
Weitere Kostenlose Bücher