Feuerbande
und gleich fiel Licht in den Raum hinein. Jetzt konnte sie schon viel mehr erkennen, und sie zog alle Vorhänge fort, bis der Raum hell war und lichtdurchflutet.
Groß und hell – und ansonsten leer.
An der hinteren Wand führten Türen in weitere Räume, und es gab dort auch eine hölzerne Treppe, die in unbekannte Höhen verschwand. Nana öffnete Tür um Tür, doch sie wagte nicht, weiter hinein zu gehen – immer neue Durchgänge warteten, ein verwirrendes Geflecht, in dem sie sich nicht verirren wollte. Und nirgendwo gab es Möbel, Geschirr, irgendwelche Dinge oder Spuren, die auf Bewohner hindeuteten.
Schließlich kehrte sie wieder zum ersten Raum zurück und setzte einen Fuß auf die Treppe. Sie verlor sich oben in Dunkelheit, doch Nana musste wissen, wohin sie führte. Vorsichtig machte sie sich auf den Weg, nahm Stufe um Stufe, kam an Fenstern vorbei, deren Vorhänge sie zur Seite riss. Immer heller wurde es, und schließlich endete die Treppe vor einem letzten seltsamen Raum.
Das Zimmer war anders als die anderen, offen nach allen Seiten hin und ringsherum von einem Balkon umschlossen, von dem aus man weit über das Land schauen konnte. Und an den Wänden zwischen den Öffnungen, die auf den Rundgang nach draußen führten, hingen Spiegel, schmal und groß, vom Boden bis zur Decke reichend.
Nana trat einen Schritt näher heran und meinte, ihr Herz pochen zu hören. Die Spiegel blieben dunkel und glatt, doch irgendwie – erwartungsvoll. Alles hier schien auf etwas zu warten. Sie konnte es spüren, ein Prickeln auf der Haut.
„Ist jemand... hier?“, flüsterte sie, und die Worte brachen sich von den Wänden, wurden von Spiegel zu Spiegel weitergeworfen, bis die dunklen Oberflächen schimmernd vibrierten. Mädchen erschienen unter dem Glas – Nana selbst und doch wieder nicht sie selbst, in unzähligen Varianten, immer wieder neu, ständig im Wechsel. Nana war nicht in der Lage, auch nur eines der Bilder fest zu erfassen.
Sie hockte sich auf den Boden und nahm ihr Gesicht in die Hände, und plötzlich spürte sie, dass hier noch jemand war. Da gab es Wärme und Zuwendung, fremd und gleichzeitig so vertraut, und so hob sie vorsichtig den Kopf und schaute zwischen den Fingern hindurch.
Vor ihr stand eine Frau, ein bisschen wie Nana, doch älter und schöner und sicherlich auch viel weiser. Sie trug ein langes blaues Kleid, und sie lächelte Nana freundlich an, während die Bilder in den Spiegeln verschwanden.
„Du fragst dich sicher, wo du hier bist.“ Die Stimme der Frau war wie Sommerwind. „Ich werde versuchen, es dir zu erklären.“
„Wer bist du?“, fragte Nana voll Ehrfurcht.
„Ich bin du“, sagte die Frau, „oder ein Teil von dir, oder das, was du einmal sein könntest. Es spielt keine Rolle, denn hier bist du alles, und alles bewegt sich nach deinem Willen. Willkommen in dir selbst, Nana. Dies ist dein Haus.“
„Mein... Haus?“ Nana blickte verwirrt. „Aber es ist leer. Und dunkel. Niemand lebt hier.“
„Es ist nur so lange dunkel gewesen, bis du beschlossen hast, das zu beenden. Und es bleibt nur so lange leer, bis du es eingerichtet hast. Dieses Haus ist dein Körper, Nana, und dein Geist wohnt hier, in diesem Turm hoch über allem. Dem Turm mit den Spiegeln der Möglichkeiten.“
Die Frau, die Nana sein konnte, vielleicht, eines Tages einmal, machte eine kleine, flüchtige Handbewegung, und für einen kurzen Moment wechselten sich wieder die Mädchen in den Spiegeln ab.
„Sie sind zu schnell“, stellte Nana fest. „Ich kann sie nicht genau betrachten.“
„Sie wandeln sich mit jeder Sekunde, in der du eine Entscheidung triffst. Du kannst die Zeit nicht festhalten, und du wirst nicht unverändert bleiben. Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie und was du werden kannst. Und alle liegen in dir verborgen.“
Nana runzelte die Stirn. „Und ich kann keins dieser Bilder näher anschauen?“
„Du kannst dir vorstellen, wie du sein möchtest“, erklärte die Frau. „Dann wird dieses Bild deutlicher als alle anderen, weil du es als Ziel für dich festgelegt hast.“ Sie lächelte wieder. „Das hast du ja auch mit mir getan.“
„Ich verstehe nicht viel von alledem“, seufzte Nana.
„Dies ist dein Körper“, wiederholte die Frau. „Er gehört dir, und nur dir allein. Du allein bestimmst darüber, er steht in deiner Verantwortung. Niemand darf hier eindringen, wenn du es nicht willst. Niemand darf dir Dinge stehlen. Bau dir dein Haus, wie du es möchtest,
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