Feuereifer
rauskriegen?«
»Sie sollten sich lieber an die Polizei wenden, an die echte Polizei. Die können... « »Nein!«, rief sie so laut, dass das Baby hickste und zu weinen anfing. »Nein«, sagte sie wieder, ruhiger jetzt, und wiegte die Kleine an der Schulter. »Mr. Zamar hat gesagt, keine Polizei, ich darf nicht anrufen. Aber Sie sind hier groß geworden, Sie könnten ein paar Fragen stellen, bestimmt hat niemand was dagegen, mit der Lady zu reden, die Basketball unterrichtet.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin alleine in meiner Firma, und eine solche Ermittlung braucht Zeit und ist teuer.«
»Wie viel kostet das?«, fragte sie. »Ich kann Ihnen etwas Geld geben, wenn ich das Krankenhaus für Julia abbezahlt habe.«
Ich brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass ich pro Stunde Dollar berechnete; nicht jemandem, der fünf Kinder mit dreizehn Dollar die Stunde durchbringen muss. Obwohl ich öfter unentgeltlich arbeite - zu oft, pflegt meine Buchhalterin mir regelmäßig mitzuteilen -, war mir schleierhaft, wie ich in einem Unternehmen ermitteln sollte, dessen Besitzer mich da nicht haben wollte.
»Aber verstehen Sie denn nicht, wenn das nicht aufhört, schließen sie die Fabrik, und was soll dann aus mir und meinen Kindern werden?«, rief Rose mit Tränen in den Augen verzweifelt aus.
Julia verkroch sich inzwischen förmlich in ihrem T-Shirt, und das Baby schrie noch lauter. Ich rieb mir die Stirn. Bei der Vorstellung, eine weitere Bindung an meine alte Gegend herzustellen, noch eine Verpflichtung einzugehen, hätte ich mich am liebsten zu Julia auf die Couch gehockt, um die wirkliche Welt zu verdrängen. Mit bleischwerer Hand förderte ich meinen Taschenkalender zutage und betrachtete meine Termine. »Ich denke, ich könnte morgen früh mal vorbeischauen. Aber Sie wissen, dass ich mit Mr. Zamar reden muss, und wenn er mich rausschmeißt, muss ich gehen.«
Rose Dorrado strahlte mich erleichtert an. Sie dachte sich vermutlich, dass ich den ganzen Weg gehen würde, wenn ich den ersten Schritt tat. Ich hoffte inständig, dass sie sich irrte.
8
Innenleben einer Fabrik
Ich zog meine Windjacke fester um mich und schlüpfte durch ein Loch im Maschendrahtzaun. Der Himmel nahm das typische matte Stahlgrau eines Spätherbstmorgens an, und es war kalt.
Als ich Rose Dorrado gesagt hatte, ich würde am nächsten Morgen bei Fly the Flag vorbeischauen, hatte ich ursprünglich beabsichtigt, gegen halb neun zu erscheinen und die Angestellten zu befragen. Doch als ich die Sache abends mit Morrell besprach, wurde mir klar, dass ich frühmorgens dort sein musste. Wenn jemand einen Sabotageakt vor der Morgenschicht plante, könnte ich die Person vielleicht auf frischer Tat ertappen.
Am Abend vorher war es wieder spät geworden, denn nachdem ich mich mit meinen streitlustigen Spielerinnen herumgeplagt und Rose aufgesucht hatte, schaute ich auf dem Weg Richtung Norden noch bei Mary Ann McFarlane vorbei. Viermal die Woche kam eine Haushaltshilfe zu ihr und erledigte Wäsche und andere mühsame Aufgaben, aber ich brachte ihr öfter was zu essen, manchmal eine ganze Abendmahlzeit oder Kleinigkeiten, die niemand für sie einkaufte, die ihr aber Freude machten. Mary Ann wohnte nördlich von meiner alten Straße in einem betagten Backsteingebäude mit acht Mietparteien; ihre Wohnung bestand wie meine aus vier aufeinanderfolgenden Zimmern. Als ich zu Mary Ann kam, lag sie im Bett, aber ihre Stimme war noch kräftig genug, dass ich sie im Flur hören konnte. Ich rief zurück und streichelte Scurry, ihren Dackel, der sich fast überschlug vor Freude, als er mich sah. Was sollte ich mit dem Hund machen, wenn - falls - er ein neues Zuhause brauchte? Das fragte ich mich immer wieder. Ich hatte schon Peppie und ihren riesigen Sohn. Wenn ich mir einen dritten Hund zulegte, würde mir bestimmt das Gesundheitsamt auf die Pelle rücken - nicht wegen der Hunde, sondern um mich in die geschlossene Abteilung einzuweisen.
Als ich ins Schlafzimmer kam, hatte sich meine einstige Trai nerin aus dem Bett gehangelt und bis zur Tür vorgearbeitet. Sie hielt sich an ihrer Kommode fest, winkte aber ab, als ich ihr helfen wollte, und wartete, bis sie wieder zu Atem kam. In dem trüben Licht sah sie erschreckend aus mit ihren eingefallenen Wangen und der faltigen Haut an ihrem Hals. Sie war früher eine kräftige Frau gewesen, doch nun hatten der Krebs und die Medikamente ihr das Leben ausgesogen, und durch die Chemotherapie hatte sie die Haare
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