Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuereifer

Feuereifer

Titel: Feuereifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
nicht auffiel, und ging die zwei Blocks zu Fly the Flag zu Fuß. Nur ein Stadtbus kam vorbei, der sich so schwerfällig Richtung Norden bewegte wie ein Bär im Gegenwind. Von einer Eisenhütte abgesehen, auf deren abgeriegeltem Gelände sich ein modernes Fabrikgebäude befand, schienen sich die meisten Bauten, an denen ich hier vorüberkam, nur durch erbitterten Widerstand gegen die Schwerkraft aufrechtzuhalten. Die Fenster waren entweder gähnende Löcher oder zugenagelt, Aluminiumrahmen flatterten im Wind. Dass es dramatisch wenige Jobs hier in der Gegend gibt, kann man daran sehen, dass Menschen selbst in diesen verfallenden Gemäuern zur Arbeit gehen. Erstaunt stellte ich fest, dass Fly the Flag in dieser Kulisse des Verfalls eine Ausnahme bildete. Nach Rose Dorrados Schilderung war ich fast davon ausgegangen, dass Frank Zamar selbst hinter der Zerstörung seines Unternehmens stand, aber ich hatte angenommen, dass man es dem Gebäude ansehen würde. Brandstiftung etwa findet häufiger durch gezielte Verwahrlosung statt -höhere Stromspannung, als die Kabel aushalten, schadhafte Stromkabel, die nicht repariert werden, Müllhaufen an entscheidenden Stellen - als durch Feuerlegen. Von außen jedenfalls machte Fly the Flag keinen heruntergekommenen Eindruck.
    Ich schaltete meine Taschenlampe an und wanderte um das Gebäude herum. Der Hof war nicht groß, hier konnte höchstens ein einziger Sattelschlepper wenden. Auf ebener Erde gab es zwei Eingänge, und eine Rampe führte hinunter zu einer Ladezone. Ich hielt am ganzen Gebäude nach Löchern im Fundament, Beschädigungen an den Strom- und Gaszuleitungen und Fußabdrücken auf dem feuchten Boden Ausschau, entdeckte aber nichts Außergewöhnliches. Die Eingangstüren waren abgeschlossen, und als ich mit meinem Dietrich stocherte, spürte ich keinerlei Widerstände.
    Auf meiner Uhr war es sieben nach sechs. Ich richtete die Taschenlampe auf das Schloss am Hintereingang und fummelte es mit den Dietrichen auf. Von der Autobahnbrücke konnte man mich wahrscheinlich sehen, aber ich nahm nicht an, dass sich jemand so sehr für die Zustände hier unten interessierte, dass er die Cops rufen würde.
    Das Innere des Gebäudes war übersichtlich: ein riesiger Raum mit gewaltigen Schneide- und Bügelmaschinen, lange Tische für die Näharbeit, über allem an der Wand die größte US-Flagge, die ich je gesehen hatte. Als ich sie anleuchtete, sahen die Streifen so weich und glatt aus, dass ich Lust bekam, sie anzufassen. Ich kletterte auf einen Tisch, streckte die Hand aus und berührte den untersten Streifen. Er fühlte sich an wie dicker Samt, so sinnlich, dass ich mich am liebsten darin eingehüllt hätte. Die sorgfältige Näharbeit an den Streifen bewies, dass die Arbeiter hier offenbar an das Credo glaubten, das darüber verkündet wurde: »Fly the Flag - wir tun es mit Stolz.« Ich sprang vom Tisch, wischte meine Fingerabdrücke ab und erkundete den Raum weiter. In einer Ecke hatte man sichtlich widerstrebend etwas Platz geschaffen für eine winzige Kantine, eine schmutzige Toilette und ein Kabuff, das Frank Zamar als Büro diente. In einer Nische neben der Kantine standen diverse verbeulte Schließfächer, in denen die Angestellten ihre persönlichen Sachen einschließen konnten.
    Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein an zwei Seiten offener Lieferaufzug zum Keller. Mit einer Handkurbel beförderte ich mich in dem Gefährt nach unten. Der vordere Ausgang führte zu der Ladezone, der hintere zu einem Raum, in dem Hunderte von Stoffballen in allen erdenklichen Farben, lange Garnspulen und ein Drahtkorb mit Fahnenstangen lagerten. Alles, was ein Flaggenhersteller benötigte. Inzwischen war es halb sieben; die Zeit reichte nicht mehr aus, um Zamars Büro unter die Lupe zu nehmen, bevor Rose Dorrado durch frühes Erscheinen ihren Arbeitseifer unter Beweis stellte. Ich sann darüber nach, ob sie die Schlösser vielleicht selbst verklebt hatte, um zu beweisen, dass sie als Beschützerin vor Saboteuren unentbehrlich war für die Fabrik. Genügend tote Ratten zu sammeln, um damit die Heizungsschächte zu verpesten, stellte ich mir grässlich vor, aber es kam wohl immer darauf an, wie entschlossen jemand war. Ich entdeckte eine Eisentreppe, die ins Obergeschoss führte, und begann, sie hinaufzusteigen, als ich von oben ein Geräusch hörte, ein Klacken, wie von einer zufallenden Tür. Falls es sich um Rose Dorrado handelte, war alles okay, aber falls nicht - ich schaltete

Weitere Kostenlose Bücher