Feuereifer
die Mädchen, die nur heiraten und hier Kinder großziehen wollten, wussten, dass ihre Männer eine anständige Stelle finden würden. Damals gab es noch Arbeitsstellen. Heutzutage haben die Leute das Gefühl, keine Zukunft mehr zu haben. Männer, die früher im Stahlwerk dreißig Dollar die Stunde verdienten, sind froh, wenn sie heute für ein Viertel des Geldes bei By-Smart arbeiten können.«
»Ich hab versucht, mit Sancia, der Center-Spielerin, über Verhütung zu reden - ich meine, sie hat schließlich schon zwei Kinder. Ihr Freund hockt mit den Kindern beim Training; der sieht aus wie fünfundzwanzig, aber wenn ihm das Wort >arbeiten< jemals untergekommen ist, hat er offenbar gedacht, es gehört zu einer Fremdsprache oder ist abgeschafft. Ich habe Sancia jedenfalls gesagt, falls sie weiterhin sexuell aktiv bleiben wollte, wäre es besser für ihre Chancen in der Schule und im Leben, wenn sie keine Kinder mehr kriegen würde. Am nächsten Tag hatte ich ihre Mutter am Hals, die mir gedroht hat, sie würde ihre Tochter aus der Mannschaft nehmen, wenn ich da noch mal über Verhütung reden würde - aber ich kann die Mädchen doch schließlich nicht ins Unglück laufen lassen, oder?«
»Glaub mir, ich wäre froh, wenn jeder an der Schule enthaltsam leben würde«, sagte Mary Ann, »aber das ist so wahrscheinlich wie eine Wiedergeburt der Dinosaurier, und deshalb müssen sie Bescheid wissen über Verhütung. Aber du darfst es ihnen nicht unaufgefordert erzählen. Das Problem ist, dass Sancias Mutter der Pentecostal Church angehört, und da wird verbreitet, dass man in die Hölle kommt, wenn man Verhütungsmittel benutzt.« »Aber... «
»Debattier nicht mit mir darüber und vor allem, um Himmels willen, nicht mit den Mädchen. In diesen kleinen Kirchengemeinden nehmen die ihren Glauben furchtbar ernst. Du siehst sie ja vermutlich vor dem Training in ihren Bibeln lesen.«
»Auch das hat sich geändert seit meiner Jugend«, sagte ich trocken, »dass die Latinos der Messe den Rücken kehren. Ich hatte natürlich davon gehört, es aber noch nicht selbst erlebt. Und sie versuchen sogar, andere zu bekehren - ich musste da schon ein-, zweimal dazwischen gehen.«
Mary Ann grinste breit. »In dieser Zeit Lehrer zu sein, ist harte Arbeit - man muss aufpassen, worüber man spricht, damit man selbst oder die Schule nicht einen Prozess an den Hals kriegt. Aber Rose Dorrado ist praktischer veranlagt als Sancias Mutter. Seit Julia das Kind bekommen hat, sitzt sie Josie im Nacken, achtet darauf, mit wem sie sich trifft, lässt sie nicht mit Jungen alleine ausgehen. Sie will, dass Josie studiert. Und die Eltern von April sind auch dahinter her.«
»Ach Unsinn!«, widersprach ich. »Wenn Romeo - Bron -Czernin mal an irgendwas außer seinem Hosenschlitz denkt, dann nur an sich.«
»Gut, dann eben ihre Mutter«, räumte Mary Ann ein. »Sie will unbedingt, dass April aus South Chicago rauskommt. Basketball duldet sie, weil April damit vielleicht an ein Stipendium kommt, aber sie gehört zu den wenigen Eltern, die jeden Abend dafür sorgen, dass die Kids ihre Hausaufgaben machen.«
Die lange Unterhaltung hatte meine alte Trainerin erschöpft. Ich half ihr zurück ins Schlafzimmer, machte dann eine Runde um den Block mit Scurry und fuhr danach zu mir, um mich meiner eigenen Hunde anzunehmen. Mr. Contreras war mit ihnen draußen gewesen, aber ich fuhr mit ihnen zum See, damit sie rennen konnten, und nahm sie dann mit zu Morrell, wo sie auch blieben, als ich morgens um fünf aufstand und wieder in die South Side zurückkutschierte.
Noch lag die Nacht über der Stadt, aber auf der Schnellstraße war schon viel los - wann nicht? Laster, Leute auf dem Weg zur Arbeit, Ermittler, die nach weiß der Geier was Ausschau hielten, waren auf den zehn Spuren unterwegs. Erst als ich an der 87th Street Richtung Westen runterfuhr, wurde es still in den Straßen.
Das Gebäude von Fly the Flag ragte vor der Böschung des Skyway an der South Chicago Avenue auf. Früher hatte es an dieser Straße wohl florierende Fabriken und Geschäfte gegeben, aber ich konnte mich daran nicht erinnern. Im Gegensatz zu der dicht befahrenen Autobahn, die vor allem von den Pendlern aus Indiana benutzt wurde, war die Straße hier unten völlig verlassen. Am Bordstein standen ein paar Autos mit offener Motorhaube oder verdrehten Rädern, die nicht geparkt, sondern zurückgelassen wurden. Ich stellte den Mustang in einer Seitenstraße ab, damit er zwischen den Wracks
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