Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuereifer

Feuereifer

Titel: Feuereifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
verloren. Sie wuchsen jetzt langsam nach, rote und graue Stoppeln, aber sie hatte sich auch dann geweigert, eine Perücke zu tragen, als sie so kahl war wie Michael Jordan.
    Es war ein Schock für mich, als ich Mary Ann zum ersten Mal in diesem Zustand sah. Ich kannte sie nur kraftvoll und muskulös und konnte sie mir nicht alt oder krank vorstellen. Sie war auch noch nicht alt - erst Sechsundsechzig, hatte ich zu meinem Erstaunen erfahren. Als sie mich damals trainierte und in Latein unterrichtete, wirkte sie auf mich so alt und würdevoll wie die Büste von Caesar Augustus in unserem Klassenzimmer.
    Sie sprach erst, als sie sich in der Küche an dem alten Emailletisch niedergelassen hatte. Scurry sprang auf ihren Schoß. Ich setzte Wasser für Tee auf und packte die Lebensmittel aus, die ich für sie eingekauft hatte. »Wie lief das Training heute?«, fragte sie.
    Ich berichtete von dem Streit, und sie nickte, zufrieden über meine Lösung. »Der Schule ist es einerlei, ob diese Mädchen spielen oder nicht. Oder ob sie zum Unterricht erscheinen - Celine Jackman zieht das Klassenniveau runter. Die wären froh, wenn du sie rausschmeißen würdest, aber Basketball ist ihre Rettungsleine. Sieh zu, dass sie drinbleibt, wenn es irgend geht.«
    Sie hielt inne, um Atem zu holen, dann sagte sie: »Du machst doch wohl nicht wieder diese Tofu-Pampe, wie?«
    »Nein, Ma'am.« Als ich das erste Mal für sie kochte, hatte ich Misosuppe mit Tofu zubereitet, weil ich dachte, das sei leicht verdaulich und würde ihr Kraft geben, aber Mary Ann verabscheute diese Kost. Sie war nur für Fleisch und Kartoffeln zu haben, und auch wenn sie dieser Tage nicht viel von ihrem geliebten Schmorbraten zu sich nehmen konnte, genoss sie ihn jedenfalls mehr als Tofu-Pampe.
    Während sie langsam so viel von ihrer Mahlzeit verzehrte, wie ihr möglich war, ging ich in ihr Schlafzimmer und wechselte die Laken. Es war ihr zuwider, dass ich das Blut und die Eiterflecken zu Gesicht bekam, weshalb wir beide so taten, als sähe ich sie nicht. An den Tagen, an denen sie zu schwach war, um aufzustehen, war es schmerzhafter, ihre Beschämtheit über den Zustand der Bettwäsche zu erleben, als an den Krebs selbst zu denken.
    Während ich die Wäsche in einen Plastiksack für die Reinigung packte, warf ich einen Blick auf die Bücher, in denen sie las. Einen von Lindsay Davis' römischen Kriminalromanen. Den neuesten Band aus der Biographie von Lyndon B.Johnson. Eine Sammlung lateinischer Kreuzworträtsel - alle Angaben waren auf Latein. Es war lediglich ihr Körper, der sie im Stich ließ.
    Als ich in die Küche zurückkam, berichtete ich von Rose Dorrados Geschichte. »Du kennst doch jeden in South Chicago. Kennst du Zamar? Ist das ein Typ, der Sabotageakte an seiner eigenen Fabrik verüben würde?«
    »Frank Zamar?« Mary Ann schüttelte den Kopf. »So was würde ich von niemandem sagen können, Victoria. Die Leute hier sind verzweifelt, und sie handeln oft aus Verzweiflung. Aber Zamar würde bestimmt niemandem Schaden zufügen. Wenn er seine eigene Fabrik zerstören wollte, würde er auf jeden Fall darauf achten, dass sich niemand mehr drin aufhält.« »Hat er Kinder an der Schule?«
    »Soweit ich weiß, hat er keine Familie. Wohnt an der East Side, früher mit seiner Mutter, aber die ist vor drei, vier Jahren gestorben. Stiller, unauffälliger Mann, Mitte fünfzig etwa. Letztes Jahr hat er der Mannschaft Trikots gespendet. Ich nehme an, dass Josies Mutter ihn dazu gebracht hat. So hab ich ihn überhaupt kennen gelernt - Rose Dorrado hat ihn überredet, zum Training zu kommen, um Julia spielen zu sehen. Josies Schwester, weißt du. Sie war die beste Spielerin, die ich seit vielen Jahren an der Schule hatte, vielleicht seit dir damals, bis sie das Kind bekam. Jetzt ist ihr Leben aus den Fugen geraten, sie kommt nicht mal mehr in die Schule.«
    Ich klatschte den Spülschwamm so aufgebracht ins Becken, dass er durch die Küche sprang. »Diese Mädchen mit ihren Schwangerschaften! Ich bin hier aufgewachsen und war auf der selben Schule. Es gab immer welche, die schwanger wurden, aber kein Vergleich mit heute.«
    Mary Ann seufzte. »Ich weiß. Wenn ich eine Ahnung hätte, wie man das ändern kann, würd ich's tun. In deiner Generation waren die Mädchen noch nicht so früh sexuell aktiv, und außerdem boten sich bessere Möglichkeiten.«
    »Aus meiner Klasse haben auch nicht grade viele studiert«, erwiderte ich.
    Sie rang um Atem. »Das meine ich nicht. Auch

Weitere Kostenlose Bücher