Feuereifer
Wände hängten, wurden vorher nicht allzu oft verlangt.
»Aber nach dem Trade Center gab es eine große Nachfrage, wissen Sie, jeder wollte eine Flagge für seine Firma, große Apartmenthäuser für reiche Leute wollten sogar welche vom Dach hängen. Jedenfalls hatten wir viele Aufträge, fast zu viele, wir kamen kaum hinterher. Die Banner werden alle von Hand genäht, die Flaggen aber mit Maschine, und es musste sogar eine zweite Maschine angeschafft werden.« »Klingt gut«, sagte ich. »South Chicago kann Erfolgsgeschichten brauchen.« »Ja, wir brauchen diese Firmen. Ich brauche den Job, ich muss vier Kinder ernähren, und jetzt auch noch Julias Baby. Falls diese Firma schließt, weiß ich nicht, was ich tun soll.«
Und nun kam sie zur Sache. Seit dem Sommer gingen die Aufträge zurück. Es gab immer noch zwei Schichten, aber Mr. Zamar hatte elf Leute entlassen. Josies Mutter war schon lange dabei, aber nun machte sie sich Sorgen um die Zukunft.
»Das klingt beunruhigend«, pflichtete ich ihr bei, »aber ich weiß nicht recht, was ich dagegen unternehmen soll.«
Rose Dorrado lachte nervös. »Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein. Ich mache mir zu viele Sorgen, weil ich all die Kinder durchbringen muss. Ich verdiene da gut, dreizehn Dollar die Stunde. Wenn die Firma dichtmacht und nach Nicaragua oder China geht, wie manche Leute glauben, oder wenn Mr. Zamar -wenn dem Betrieb irgendwas passiert -, wo soll ich dann arbeiten? Dann kann ich nur zu By-Smart, wo man mit sieben Dollar die Stunde anfängt. Wer kann denn sechs Leute von sieben Dollar die Stunde ernähren? Und dann die Miete. Und wir zahlen immer noch für Maria Ines, für ihre Geburt, meine ich. Das Krankenhaus ist so teuer, und dann muss sie ihre Impfungen kriegen, und die Kinder brauchen alle Schuhe...« Sie verstummte und seufzte.
Während Rose Dorrados Klagerede starrte Julia auf den Fernseher, als hinge ihr Leben davon ab, aber die Spannung in ihren knochigen Schultern ließ daraufschließen, dass sie jedes Wort ihrer Mutter registrierte. Ich trank den Kaffee bis auf den letzten unaufgelösten Pulverkrümel aus; in dieser Umgebung mochte ich nichts vergeuden. »Und was ist nun los in der Fabrik?« Ich versuchte, sie auf ihr Anliegen zu bringen. »Wahrscheinlich ist es gar nichts«, antwortete sie. »Vielleicht ist wirklich nichts; Josie hat gesagt, ich soll Sie nicht damit belästigen.«
Als ich weiter nachbohrte, rückte sie schlussendlich damit heraus: Eines Morgens im letzten Monat, als sie zur Arbeit gekommen war - sie war immer früh dran, um sich keinerlei Verfehlungen zu leisten; wenn es noch mehr Entlassungen geben sollte, konnte ihr jedenfalls keiner Nachlässigkeit vorwerfen -, musste sie feststellen, dass ihr Schlüssel nicht ins Loch passte. Jemand hatte die Schlösser mit Sekundenkleber vollgespritzt, und ein ganzer Arbeitstag ging verloren, weil man warten musste, bis die Schlosser die Türen repariert hatten. Ein andermal, als sie als Erste zur Arbeit erschien, stank es schrecklich, und später wurden tote Ratten in den Heizungsrohren entdeckt. »Weil ich so früh dran war, hab ich alle Fenster aufgemacht, und wir konnten noch arbeiten, es war nicht so sehr schlimm, aber Sie können sich das ja vorstellen! Zum Glück war das Wet ter recht gut - im November kann es auch Regen oder Schneestürme geben.« »Was sagt Mr. Zamar dazu?«
Sie beugte sich über das Baby. »Nichts. Er meinte, es gibt immer wieder Missgeschicke in Fabriken.«
»Wo steckte er denn, als die Schlösser verklebt waren?« »Wie meinen Sie das?«, fragte Rose.
»Ich meine, ist es nicht eigenartig, dass Sie die Schlösser entdeckt haben? Wo war er denn?«
»Er kommt immer später, weil er abends bis sieben oder acht im Haus bleibt. Morgens ist er frühestens um halb neun da, manchmal auch erst um neun.«
»Er könnte die Schlösser am Abend vorher also selbst verklebt haben«, sagte ich unverblümt.
Rose sah mich erschrocken an. »Warum sollte er so was tun?«
»Um die Fabrik auf eine Art lahmzulegen, bei der er die Versicherungssumme kassieren kann.«
»Das würde er niemals tun!«, rief sie aus, zu hastig. »Das wäre Unrecht, und er ist ein guter Mann, er bemüht sich... «
»Meinen Sie, jemand von den Entlassenen wollte sich rächen?« »Alles ist möglich«, sagte Rose. »Deshalb... ich frage mich eben... und als ich hörte, dass eine von der Polizei jetzt anstelle von Mrs. McFarlane eingesprungen ist... können Sie nicht mal hingehen und es
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