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Feuereifer

Feuereifer

Titel: Feuereifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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the Kid mich zu der Gebetsstunde eingeladen hatte, war vor meinem inneren Auge so etwas Ähnliches aufgetaucht wie die Kapelle einer Kirche, in der ein Freund von mir Priester ist: Marienstatuen, Kerzen, Kruzifixe, ein Altar. Doch wir befanden uns in einem gesichtslosen Raum im vierten Stockwerk, in dem es bis auf ein Oberlicht keine Fenster gab. Später stellte ich fest, dass es sich um einen Mehrzweckraum handelte; er war kleiner und weniger repräsentativ als der offizielle Festsaal und wurde von den Angestellten für Schulungen und dergleichen genutzt. An diesem Morgen stand dort ein heller Holztisch, umgeben von halbkreisförmig angeordneten Stuhlreihen. Der alte Mr. Bysen traf erst kurz vor der Predigt ein, als alle anderen bereits saßen; ein massiger Mann, der im Alter einen Bauch angesetzt hatte. Er hatte einen Stock bei sich, den er aber nur wie einen Skistock benutzte, um sich schneller vorwärtszubewegen. Seine Entourage, diverse Männer in Grau und Braun, folgte ihm auf dem Fuße. Billy the Kid, der Jeans und ein sauberes, weißes Hemd trug und seine rotbraunen Locken mit Gel glatt gestriegelt hatte, kam am Ende der Prozession mit Pastor Andres herein. Der Pastor mit seiner dunklen Haut war zwischen all den weißen Gesichtern so auffällig wie eine Rose in einem Topf voller Zwiebeln. Von Marcena und mir abgesehen gab es nicht viele Frauen im Raum; eine war im Gefolge von Bysen eingetroffen. Sie wirkte unterwürfig und entschieden zugleich - die perfekte rechte Hand. Ihr Gesicht war so flächig wie eine Bratpfanne und mit kompletter Kriegsbemalung versehen. Unter dem Arm trug sie eine schmale, goldene Aktenmappe, die sie nun aufschlug und so auf den Tisch legte, dass Bysen und sie hineinblicken konnten. Sie nahm zu seiner Rechten Platz, während der Rest des Gefolges sich auf den Polsterstühlen am Tisch niederließ; Tante Jacqui, die etwas später hereinkam, musste sich mit einem Platz in der ersten Reihe zufriedengeben.
    Vor dem Gebet gab es offenbar Gelegenheit zur Audienz bei Bysen. Diverse Leute begaben sich nach vorne und führten in gedämpftem Tonfall Gespräche mit dem alten Mann. Die Frau mit dem Pfannengesicht hörte aufmerksam zu und machte sich Notizen in der goldenen Mappe.
    Außer Pastor Andres und Billy the Kid saßen vier Männer am Tisch, die von den Wartenden gelegentlich angesprochen wurden; aber für Billy hatte jeder ein Lächeln und ein paar Worte parat. Irgendwann entdeckte er mich, winkte mir zu und lächelte auf seine scheue, liebenswerte Art, worauf ich mich schlagartig besser fühlte. Nachdem Bysen eine Viertelstunde lang den Vasallen Gehör geschenkt hatte, nickte er der Frau zu, die daraufhin den Ordner verschwinden ließ. Alle begaben sich auf ihre Plätze, und Billy, der vor Aufregung rot wurde, stellte Pastor Andres von der Mount-Ararat-Kirche vor und wies auf sein eigenes Engagement in South Chicago hin und die Wichtigkeit von Andres' Arbeit für die Kirchengemeinde. Andres sprach ein Bittgebet, und Billy las einen Abschnitt aus der Bibel vor, das Gleichnis vom reichen Mann und dem ungetreuen Haushalter. Danach setzte er sich wieder. Als Erstes beteten wir für alle Angestellten von sämtlichen By-Smart-Unternehmen, baten um kluge Entscheidungen der Firmenleitung, das Wohl und die Kraft der Arbeiter hie und dort. Während Pastor Andres predigte und die Gemeinde döste, ließ der alte Bysen den Pfarrer nicht aus den Augen, wobei seine buschigen Augenbrauen unruhig zuckten.
    Als Pastor Andres' Stimme lauter und dramatischer wurde, schreckte ich aus dem Halbschlaf auf und wandte mich wieder dem Geschehen zu.
    »Als Jesus über den ungetreuen Haushalter sprach, der die Güter seines Herrn vergeudet hatte, sprach er zu uns allen. Wir alle sind seine Haushalter, und von jenen, denen am meisten gegeben wurde, wird auch am meisten erwartet. Himmlischer Vater, Du hast dieses Unternehmen, diese Familie mit großen Gaben gesegnet. Wir bitten Dich im Namen deines Sohnes, diesen Menschen vor Augen zu halten, dass auch sie nur Deine Haushalter sind. Hilf allen in diesem Unternehmen, dies nicht zu vergessen. Hilf ihnen, Deine Gaben weise zu verteilen, zum Nutzen aller, die für sie arbeiten. Dein Sohn hat uns gelehrt: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von allem Übel. Auch der Erfolg von By-Smart führt in Versuchung - zu vergessen, dass viele der hier Arbeitenden mühselig und beladen sind und tränenüberströmt vor Deinen Sohn treten werden. Hilf jedem, der in

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