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Feuereifer

Feuereifer

Titel: Feuereifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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verlassen; ich hatte ihn an der Haustür abgesetzt, ohne mit raufzukommen. Wenn Marcena es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht hatte, war das auch nicht zu ändern.
    Als ich Richtung Süden fuhr, fing es an zu schneien. Vor der Kirche bedeckte schon eine dünne Schneeschicht den Boden. In zwei Wochen war Thanksgiving. Das Jahr neigte sich dem Ende entgegen, und der Himmel hing so tief, als wolle er mir bedeuten, dass ich mich hinlegen und in Winterschlaf verfallen solle. Ich parkte an der 91st und sprintete in die Kirche. Da ich mir gedacht hatte, es sei von Vorteil, hier im Rock anzutreten, wurde mir von unten her mächtig kalt.
    Ich blieb stehen, um mich zu orientieren. Es war heiß und laut in der Kirche und ging ausgesprochen lebhaft zu. Die meisten Leute waren in Bewegung - wobei lediglich der Tanz der Kinder organisiert wirkte. Immer wieder liefjemand in den Mittelgang, reckte eine Hand gen Himmel, blieb eine Weile stehen und kehrte dann in seine Bank zurück. Die Kinder trugen zu ihren dunkelblauen Hosen und Röcken langärmlige weiße T-Shirts mit einer lodernden Flamme auf der Vorderseite und der Aufschrift »Mount Ararats Truppen marschieren für Jesus« auf der Rückseite. Was sie aufführten, bestand aus Tritten, Klatschen und Stampfen und war mehr von Eifer als von Perfektion bestimmt, aber die Gemeinde applaudierte und feuerte sie an. Die musikalische Begleitung lieferte eine Band mit Harmonium, E-Gitarre und Schlagzeug.
    Die Chorleiterin, eine imposante Gestalt in scharlachroter Robe, bewegte sich schwungvoll zwischen der Gemeinde und einem Podium hin und her, auf dem der Chor, der Priester und die Band versammelt waren. Die Frau hielt ein Mikro in der Hand und sang, aber die gesamte Anlage war so übersteuert, dass ich nicht mal die Sprache identifizieren, geschweige denn einzelne Wörter verstehen konnte. Auf hölzernen Lehnstühlen, die in zwei Halbkreisen hinter ihr angeordnet waren, saßen mehrere Männer: in der Mitte Pastor Andres in einer blauen Robe mit hellblauem Skapulier, neben ihm fünf weitere Männer, darunter ein Greis, dessen kahler Kopf auf seinem dürren Hals hin und her wippte wie eine riesige Sonnenblume auf einem schwächlichen Stängel.
    Hinter den Männern stand, dicht gedrängt in zwei Reihen, der Chor. Die Chormitglieder sangen, schlugen Tamburins oder wirbelten herum, wenn sie sich vom heiligen Geist beflügelt fühlten. In dem Gewimmel von Leibern und Armen konnte ich kaum einzelne Gesichter erkennen.
    Nach einer Weile gelang es mir aber, Billy zu sichten, in der hinteren Reihe, fast verdeckt von einem Kabelknäuel, das zu den diversen Mikros gehörte, und einer ausladenden Frau, die sich so verzückt bewegte, dass er nur ab und an zum Vorschein kam, wie der Mond, wenn er hinter einer dicken Wolke auftaucht. Am meisten fiel er auf, weil er als Einziger süllstand.
    Josie, am Rand der vorderen Reihe, war leichter auszumachen. Sie strahlte und schwang ihr Tamburin mit einer Inbrunst, die ich beim Basketball nie von ihr zu sehen bekam. Ich hielt im Chor und der Gemeinde nach weiteren Mitgliedern meiner Mannschaft Ausschau, entdeckte aber lediglich Sancia, meine Center-Spielerin, mit ihren beiden Kindern, ihrer Mutter und ihren Schwestern. Sie starrte vor sich hin und bemerkte mich offenbar nicht.
    Als ich mich auf halber Höhe in einer Bank auf der rechten Seite niederließ, drehte sich eine gepflegte Frau in schwarzem Kostüm zu mir um und drückte mir die Hand, um mich zu begrüßen. Eine andere Frau kam von hinten angeeilt, reichte mir ein Programm und einen Umschlag für Spenden und hieß mich ebenfalls willkommen.
    »Zum ersten Mal hier, Schwester?«, fragte sie mit schwerem hispanischem Akzent. Ich nickte und stellte mich vor. »Ich unterrichte Basketball an der Bertha Palmer. Einige Mädchen aus meiner Mannschaft kommen hierher.«
    »Oh, wunderbar, wunderbar, Schwester Warshawski. Sie helfen diesen Mädchen wirklich. Wir sind dankbar.«
    Ein paar Minuten später ging ein Raunen durch die Reihen. Man konnte nichts hören, weil die Musik zu laut war, aber die Leute stießen sich an und drehten sich zu mir um: El coche schätzte ihre Sportlerinnen so sehr, dass sie in ihre Kirche kam. Auch Sancia wandte sich zu mir um. Sie wirkte verblüfft und brachte ein kleines Lächeln zustande, als sie merkte, dass ich sie ansah.
    Ich bemerkte auch Rose Dorrado jenseits des Mittelgangs. Als sie herschaute, lächelte ich und winkte ihr zu, aber sie presste die Lippen zusammen, zog

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