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Feuerflügel: Roman (German Edition)

Feuerflügel: Roman (German Edition)

Titel: Feuerflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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öffnete den Mund, um ihn auszusprechen, und seine Stimme klang ihm fremd in den Ohren, gesättigt von Schmutz und Erschöpfung.
    „Goth.“

–4–
Ein Spalt im Himmel
    Im Inneren des Baumhorts schaute Greif zu, wie sie Luna auf ein weiches Moosbett legten. Mit den Nasen breiteten sie vorsichtig ihre verwundeten Flügel aus. Seine Mutter war unter den Helferinnen und auch seine Großmutter Ariel. In kleinen Nischen, die man in die Baumrinde geschnitten hatte, lagen Häufchen verschiedener Beeren und getrockneter Blätter und Streifen Borke. Ariel nahm einiges davon in den Mund, kaute es, ohne zu schlucken.
    Dann ließ sie sich oberhalb von Luna nieder und träufelte die Flüssigkeit aus dem Mund auf die Flächen roher verbrannter Haut.
    Luna schauderte. Warum schauderte sie, fragte sich Greif, wenn sie doch gerade gebrannt hatte? Sie sagte nichts, machte kein Geräusch, starrte nur mit weit geöffneten Augen und ohne zu blinzeln vor sich hin. Sie sah gar nicht aus wie sonst. Es war, als wären die Eigenschaften, die sie zu Luna machten, verschwunden oder irgendwo tief verborgen. Sie blickte einfach durch alles hindurch. Vielleicht konzentrierte sie sich und nutzte ihre ganze Energie, um sich zu erholen. Greif war der Baumhort immer höchsttröstlich vorgekommen. Er mochte die beruhigende Dicke seines großen Stammes und die Landschaft seiner rissigen grauen Borke, die verknotet und von Tälern durchschnitten war, tief genug, um sich darin zu verstecken. Am meisten mochte er das Innere, das von den Silberflügeln zu einer Reihe miteinander verbundener Nistplätze ausgehöhlt worden war, die sich vom Stamm in die größeren Äste erstreckten bis hinauf zum Ruheplatz der Ältesten ganz oben in der Krone.
    Bei Sonnenuntergang stürzte sich immer die ganze Kolonie mit dem Geräusch eines reißenden Flusses durch das zentrale Astloch in die Nacht hinaus. Aber am liebsten war ihm die Zeit des Sonnenaufgangs, wenn alle von der nächtlichen Jagd zurückkehrten, ihre Ruheplätze aufsuchten und erzählten, während sie sich den Staub und den Sand aus dem Fell kämmten und ihre Flügel sauber leckten. Danach kamen die Mütter und die Jungen gemütlich Seite an Seite zur Ruhe und schliefen.
    Jetzt jedoch fühlte er nur Scham und Entsetzen, als er Luna betrachtete.
    Keiner hatte bislang mit ihm gesprochen. Es war noch keine Zeit dafür gewesen. Im Wald, als alle Erwachsenen am Unglücksort eingetroffen waren, hatte seine Mutter ihn nur für einen Augenblick ängstlich gemustert und gefragt: „Bist du unverletzt?“ Er hatte wie betäubt genickt. Daraufhin hatte sie sich wieder Luna zugewandt und geholfen, sie zum Baumhort zurückzutragen und hinauf ins Lager der Heilerin zu bringen. Greif war ihnen mit etwas Abstand gefolgt.
    Als sie durch den Stamm nach oben geflogen waren, hatte ein erstickendes Schweigen geherrscht. Jeder schien schon zu wissen, was geschehen war. Er versuchte, die hunderte von entsetzten Fledermäusen nicht anzusehen, die zuschauten, wie sie vorbeiflogen. Er wollte nicht hinschauen und nicht angeschaut werden.
    Nun wechselten sich die anderen Mütter ab, die Blätter und Beeren im Mund zu mischen und sie zu einer dickflüssigen Masse zu zerkauen, die sie über Lunas Wunden träufelten. Während Greif dies beobachtete, fasste er wieder Hoffnung. Er wünschte, sie würden noch schneller arbeiten, alle Schwellungen und Verbrennungen Lunas mit der dunklen Paste bedecken, ihre Schmerzen zudecken und wegnehmen.
    Als sie endlich fertig waren, flog seine Mutter zu ihm herüber und ließ sich neben ihm nieder.
    „Greif, was ist passiert?“, flüsterte sie.
    Er hatte kindlicherweise gehofft, dieser Augenblick würde niemals kommen.
    Seine Stimme bebte, als er sprach: „Wir haben ein paar Menschen im Wald gesehen und sie hatten ein Feuer, und ... wir dachten, wir sollten uns etwas davon holen. Ich habe etwas Feuer mit einem Grashalm genommen und bin damit geflogen, aber es drohte, mich zu verbrennen, und ich habe es aus Versehen auf Luna fallen lassen.“ Die letzten Worte hatte er herauswürgen müssen, so heftig schluchzte er.
    Er wollte, sie würde wütend auf ihn sein. Er hatte es verdient. Er wollte, sie würde schreien und ihn bestrafen, und wenn alles erst einmal vorüber wäre, dann wäre alles irgendwie besser. Alles wäre wieder in Ordnung. Aber seine Mutter schien so weit vom Ärger entfernt, war so still und traurig, dass Greif größere Angst verspürte als je zuvor in seinem Leben.
    „Ihr dummen,

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