Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuerflügel: Roman (German Edition)

Feuerflügel: Roman (German Edition)

Titel: Feuerflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
Vom Netzwerk:
passiert ist. Einige finden es sehr schwierig zu verstehen, dass sie tot sind – besonders die, die plötzlich oder gewaltsam gestorben sind, oder die, die so jung gestorben sind, dass sie kaum die Zeit hatten, das Leben zu verstehen, erst recht nicht die Vorstellung vom Tod.“
    Greif blickte auf seine Krallen und dachte an Luna.
    „Und Cama Zotz, der Gott der Unterwelt, tut, was er kann, um alle in diesem Zustand der Täuschung zu halten. Der Wald ist seine Schöpfung, und der ist überzeugend genug, um die meisten Fledermäuse zufrieden zu stellen.“
    Zotz. Schon der Name schien voller Gefahr, wie ein Blitz. Greif hatte alle möglichen Geschichten gehört, die von einem Jungtier zum anderen weitergegeben wurden. Wie viel davon stimmte, konnte er nur raten. Das Wenige, was er sicher wusste, stammte von seiner Mutter – Geschichten von den Abenteuern seines Vaters in den südlichen Dschungeln. Er wusste, das Cama Zotz der Gott der Vampyrum Spectrum war, der Kannibalenfledermäuse, die sein Vater besiegt hatte.
    „Und ... wo ist Cama Zotz?“, fragte Greif nervös.
    „Überall um uns herum“, antwortete Frieda, und Greif spürte, wie ihm das Fell im Genick juckte. „Dies ist sein Reich, und er sähe lieber, dass es sich ausdehnt als dass es kleiner wird. Er kann Fledermäuse nicht daran hindern, den BAUM aufzusuchen und diesen Ort hier zu verlassen, denn der BAUM ist von Nocturna selber hier gepflanzt worden. Aber Zotz tut alles, um uns davon zu überzeugen, dass diese Welt unser wahres und endgültiges Zuhause ist. Und die Fledermäuse machen gern dabei mit. Für diejenigen aber, die schließlich ihren Tod akzeptieren, macht er die Reise langwierig und beschwerlich, und er hat ihnen viele Versuchungen und Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Deshalb hat es schon immer Pilger gegeben, die den Toten helfen wollen zu verstehen, wer und was sie sind. Und sie auf ihre letzte Reise zu schicken.“
    „Sie ziehen alle zu diesem BAUM und leben dann darin?“, fragte Greif. „Er muss riesig sein.“
    Frieda kicherte. „Er ist riesig. Aber nein, der BAUM ist nicht ihr endgültiges Ziel. Der BAUM ist ein Kanal, ein Durchgang zur nächsten Welt.“
    „Aber ich will nicht in die nächste Welt“, sagte Greif alarmiert. „Ich will zurück in meine eigene.“
    Frieda nickte. „Soweit ich den BAUM verstehe, ist er eine Art Strömung, ein Sog, der uns dorthin bringt, wo wir am dringendsten hinmüssen. Für die Lebenden gäbe es einen anderen Weg als für die Toten.“
    „Sind schon andere lebende Fledermäuse in ihn hineingegangen?“
    „Nicht, solange ich eine Pilgerin bin, nein.“
    „Siehst du, das macht mir Sorgen. Es sieht einfach so aus, als wäre der BAUM nur an tote Fledermäuse hier unten gewöhnt, und wenn ich hineingehe, lebendig, vielleicht macht er dann einen Fehler und schickt mich zum falschen Ort. Wie in die nächste Welt zum Beispiel. Ich bin sicher, es ist schön dort und alles“, murmelte er und wollte Frieda nicht beleidigen, „aber es ist einfach ... nicht das, wo ich hinwill.“
    „Ich verstehe vollkommen“, sagte Frieda. „Ich glaube, Nocturna wird sich um dich kümmern, wenn du einmal in dem BAUM bist.“
    Nocturna. Man konnte nicht gerade behaupten, dass sie sich jetzt um ihn kümmerte. Vielleicht verdiente er es nicht, dass man sich um ihn kümmerte nach dem, was er getan hatte.
    „Solange mich der BAUM nur nach Hause bringt“, sagte er. „Ich will nur, dass das absolut klar ist.“
    Frieda lächelte. „Ich habe vollstes Vertrauen, dass er das tut.“
    Greif nickte. Frieda war klug, seine Mutter hatte das immer gesagt. Wenn Frieda das sagte, konnte er ihr vertrauen.
    „Also was ist diese nächste Welt überhaupt?“
    „Ich werde das erst herausfinden, wenn ich selbst in den BAUM komme.“ Frieda klang müde und ziemlich wehmütig.
    „Du hast den BAUM aber schon gesehen, stimmt’s?“ Er wollte immer noch, dass man ihm versicherte, es sei ein wirklicher Ort.
    „Ja, Greif. Viele Male.“
    „Und warum bis du nicht hineingeflogen?“
    „Glaube mir, jedes Mal, wenn ich den BAUM sehe, kann ich mich kaum zurückhalten, mich durch das Astloch hineinzustürzen.“ Sie lachte bedauernd. „Ich hatte gedacht, mit dem Tod würden meine Verantwortlichkeiten als Älteste enden, aber nein, es sieht so aus, als ob man von mir erwartet, dass ich mich sogar jetzt noch um euch alle kümmere.“ Sie schüttelte ihre runzligen Flügel. „Ich hätte diesem meinem alten Körper lieber Ruhe gegönnt.

Weitere Kostenlose Bücher