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Feuerflügel: Roman (German Edition)

Feuerflügel: Roman (German Edition)

Titel: Feuerflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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ihn. Einen Augenblick lang sprach sie nicht.
    „Du bist lebendig“, hauchte sie verwundert.
    „Ich glaube“, meinte Greif, ein wenig ängstlich wegen ihrer durchdringenden Augen. Dann runzelte er die Stirn. „Woran hast du das gemerkt?“
    „Das Leuchten“, antwortete sie. „Es ist genauso wie bei dem BAUM. Wie bist du hierher gekommen?“
    „Es hat ein Erdbeben gegeben“, sagte er. Er war so dankbar, dass er es jemandem erzählen konnte, der es verstehen würde. „Ich bin durch einen Einsturz eingeschlossen worden und der Wind hat mich direkt hier heruntergesaugt.“
    „Manchmal öffnen sich Risse“, sagte das alte Silberflügel-Weibchen. „Gewöhnlich schließt die Erde sie fast unmittelbar darauf wieder, aber manchmal werden Lebende herabgezogen. Grabende Vierfüßler meistens, die ihr Leben tief in der Erde verbringen. Du hast Glück, dass du Flügel hast, mein junger Freund, oder du wärest zu Tode gestürzt.“
    „Glück“, sagte er, „jawohl.“
    „Wie heißt du?“
    „Greif, ich komme vom Baumhort. In den nördlichen Wäldern.“
    „Vom Baumhort“, wiederholte die alte Fledermaus lächelnd.
    „Du kennst ihn?“
    „Sehr gut. Ich war die oberste Älteste seiner Kolonie. Ich heiße Frieda.“
    Greif starrte sie an. Frieda Silberflügel? Jeder hatte von ihr gehört; sie galt immer noch als eine der großartigsten Ältesten, die die Kolonie je gehabt hatte.
    „Dann hast du meine Eltern gekannt!“, rief er glücklich.
    Sie musterte so gründlich sein Gesicht, das Fell und die Ohren, dass er verlegen den Blick abwenden musste.
    „Ja“, sagte sie, während ein aufrichtig erfreutes Lächeln über ihr altes Gesicht huschte. „Ich glaube, ja. Ich habe gleich gedacht, du siehst vertraut aus. Schatten Silberflügel und Marina Glanzflügel sind deine Eltern.“
    Greif nickte so heftig, dass sein Nacken schmerzte. „Wissen sie, was dir passiert ist?“
    „Ich glaube nicht. Meine Mutter ...“ Er wollte ihr nicht von Lunas Unfall erzählen, und wie er beschämt weggeflogen war, um sich zu verstecken. „Sie wusste nicht einmal, dass ich unten in den Tunneln war, als die Erde bebte.“
    „Wie lange bist du jetzt schon hier?“
    „Das ist schwer zu sagen ohne die Sonne. Vielleicht eine Nacht und einen Tag?“ Die Traurigkeit in ihren Augen ängstigte ihn.
    „Ich kann doch wieder zurück, nicht wahr?“
    „Der Spalt, durch den du gefallen bist, ist wahrscheinlich wieder geschlossen. Selbst wenn er das nicht ist, könntest du wertvolle Zeit vergeuden, ihn zu suchen, und ihn doch nie finden. Und dann könnte es zu spät sein.“
    „Zu spät?“
    Frieda kam von ihrem Ast herabgeflattert und ließ sich neben ihm nieder. Ihr Körper war kalt und geruchlos, trotzdem fand er es tröstlich, sie in der Nähe zu haben, diese Fledermaus, die seine Eltern gekannt hatte.
    „Greif“, sagte sie freundlich, „es gibt keine Sonne hier, kein Futter, nichts, um die Lebenden zu nähren. Zögerst du zu lange, wirst du schwach werden und sterben.“
    „Nun, es ist ja nicht so, dass ich zögern will“, platzte Greif heraus. Er musste einfach sprechen, um ihre schrecklichen Worte zu übertönen, die in seinem Kopf nachhallten. Schwach werden. Sterben.
    „Glaub mir, ich habe überhaupt kein Interesse daran zu zögern. Überhaupt keins. Ich möchte hier weg. Dieser Ort ist der schlimmste ... nimm mir’s nicht übel oder so was. Ich weiß, es ist jetzt dein Zuhause, aber wirklich, es ist schrecklich. Ich habe nur noch den einen Wunsch, von hier wegzukommen. Aber niemand hat mir bislang helfen können und ...“
    „Das ist in Ordnung“, sagte Frieda und berührte sein Gesicht mit einer Flügelspitze, damit er aufhörte.
    „Wirklich?“, fragte er. Beinahe glaubte er ihr. „Es gibt einen Ausweg.“
    „Der BAUM, richtig?“, fragte er benommen. „Und warum haben dann alle solche Angst vor ihm?“
    Die Silberflügel-Älteste lächelte traurig. „Wenn wir sterben, werden wir in diese Welt hineingeboren. Wir öffnen die Augen auf Bäume und Wald und andere Fledermäuse, und diese Dinge werden sofort zu unserer neuen Wirklichkeit. Dies, denken wir, ist so, wie es immer gewesen ist. Diese Fledermäuse glauben, sie sind lebendig, und sie bringen sich dazu zu glauben, dass die Oase ihr Zuhause ist und immer gewesen ist. Dennoch haben alle vage Erinnerungen an ihr vergangenes Leben. Die meisten ignorieren sie als lästige Träume. Aber einige beschäftigen sich mit ihnen und schrittweise verstehen sie, was mit ihnen

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