Feuerflügel: Roman (German Edition)
gesehen hatte – oder irgendein anderes Geschöpf.
Er schoss nach unten, flog erst einmal an dem Felshaufen vorbei, dann wählte er einen gewaltigen Brocken mit einer Anzahl Vorsprüngen aus. Er ließ sich nieder. Es missfiel ihm, sich nicht zu bewegen und nichts zu tun.
„Greif!“, rief er. „Greif!“
Dreh dich um, sagte er sich, aber bevor er das tun konnte, wickelte sich etwas Kaltes und Geschmeidiges und sehr Starkes um ihn, drückte ihn in die Dunkelheit und zerrte ihn weg von seinem Ruheplatz.
Der eisige Griff war so fest, dass er sich kaum wehren konnte. Oder atmen. Es war ein riesiger Flügel, der ihn festhielt, das konnte er daran erkennen, dass er sich so lederartig anfühlte, und an den harten Rippen der Fingerknochen, die in ihn drangen. Nur ein Vampyrum hatte so große Flügel. Verzweifelt versuchte Schatten, seine Krallen frei zu bekommen, um sich damit aus der Umklammerung zu lösen.
„Ich werde dich loslassen“, flüsterte eine Stimme neben seinem Kopf, „aber du musst still sein.“
Die Stimme klang überhaupt nicht wie das heisere Bellen eines Vampyrum. Schatten konnte sich da allerdings nicht sicher sein, denn sie wurde so stark durch die dicke Flügelmembrane gedämpft. Langsam lockerte und entfaltete sich der riesige Flügel und durch einen Sprung machte er sich los. Er flatterte heftig und schlug beinahe mit dem Kopf gegen die steinerne Decke. Anscheinend war er von seinem Rastplatz in eine winzige Höhle innerhalb des Felsbrockens gezogen worden. Er fiel hinab, krallte sich an die entfernte Wand und wirbelte herum, um zu sehen, wer ihn gefangen hatte.
Kein Vampyrum. Etwas viel, viel Größeres.
Dieses riesige geflügelte Geschöpf hing kopfüber von der Decke herab und sah eher wie ein Vierfüßler aus als wie eine Fledermaus. Sein Körper schien fast die ganze Höhle auszufüllen.
Die Kreatur hatte ein dichtes Fell aus langem dunklem Haar und ihr Alter war an den zahlreichen grauen Strähnen zu erkennen. Ihr Gesicht lief in eine lange Schnauze und eine gepflegte spitze Nase aus. Größere Augen hatte Schatten nie gesehen. Sie waren dunkel, rund und durchdringend, aber erstaunlich freundlich. Die dreieckigen Ohren waren äußerst klein – wie konnte man mit so kleinen Ohren überhaupt sehen? Sie sah wie ein Fuchs mit Flügeln aus. Und was für Flügel das waren! Voll ausgebreitet würden sie leicht fast zwei Meter messen.
Schatten starrte die Kreatur misstrauisch an. Er stellte fest, dass sie einen ihrer Flügel halb entfaltet an die Höhlenwand hielt und so den einzigen Ausgang blockierte. Aber sie schien keine Fleisch fressenden Absichten ihm gegenüber zu hegen. War es ein bizarrer Ureinwohner der Unterwelt? Bevor er noch Zeit fand zu sprechen, rückte ein zweites geflügeltes Geschöpf hinter dem ersten hervor ins Blickfeld, kleiner, aber nicht weniger ungewöhnlich anzusehen.
Doppelt so groß wie Schatten hatte dieses neue Tier ein höchstmerkwürdiges, eingedrücktes Gesicht. Die fleischige Oberlippe wölbte sich in der Mitte und verlieh ihm ein Aussehen, als ob es dauernd knurrte. Ein Paar gebogener Raffzähne stand aus Unter- und Oberkiefer vor. Es hatte eine winzige doppelzackige Nase und seine Backen waren sehr bärtig und höckerig vor Warzen. Seine Augen jedoch wirkten weniger wild, strahlten vielmehr Aufgewecktheit und etwas wie Schabernack aus.
Dann wanderte Schattens Blick zu den riesigen, bösartig scharfen hinteren Klauen; sie machten den Eindruck, als wären sie für mehr gebaut, als einfach nur Borke zu packen. Nichts Spielerisches an diesen Krallen. Wenn das eine Fledermaus war, dachte er, dann war es eine Art, die er noch nie gesehen und von der er noch nie gehört hatte.
Schattens Überraschung und Verwirrung nahmen noch zu, als ein drittes Geschöpf hinter den anderen hervorgeflattert kam. Er schnappte nach Luft.
Ein Silberflügel.
Es war ein Männchen, nicht mehr als ein oder zwei Jahre älter als Schatten, aber seine rechte Schulter und der Flügel wirkten merkwürdig verkrümmt, als wären sie in einem furchtbaren Zusammenprall verletzt worden. Er hatte auch einen gequälten, ungleichmäßigen Flug. Aber ein Silberflügel in der Unterwelt?
„Wie bist du hierher gekommen?“, fragte Schatten ihn überwältigt. War diese Fledermaus wie Greif durch einen schrecklichen Spalt herabgesaugt worden?
„Warum leuchtet er?“, zischte der verkrüppelte Silberflügel zu dem fuchsgesichtigen Geschöpf. Dabei klang er gleichzeitig beunruhigt und
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