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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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wenn Katastrophen über sie hereinbrachen. Auf Twilight hatte sie Trauer, Tod und Unglück kennengelernt, aber niemals Panik oder Verzweiflung.
    Laenea stellte sich vor und forderte den jungen Mann auf, sich zu ihr zu setzen. Zögernd trat er näher. „Mein Name ist Radu Dracul“, sagte er.
    Der Name rief in Laenea eine leise Erinnerung wach. Sie konzentrierte sich darauf, bis sie deutlich genug wurde, um sie identifizieren zu können. Sie blickte über Radu Draculs Schulter, als ob sie nach jemanden suchte. „Wenn Sie Dracul sind – wo ist Vlad?“
    Radu lachte, und sein düsterer Gesichtsausdruck änderte sich zum ersten Mal. Er hatte gute Zähne und tiefe Lachfalten, die parallel zu den herabhängenden Enden seines Schnurrbarts verliefen. „Wo immer er sein mag, ich hoffe, daß er dort bleibt.“
    Sie lächelten beide.
    „Ihre erste Reise?“ fragte sie.
    „Sieht man mir so deutlich an, daß ich in diesem Geschäft neu bin?“
    „Sie sind allein“, sagte sie, „und Sie haben geschlafen.“
    „Ich kenne hier niemanden, und ich war müde.“
    „Nach einer Weile …“ Laenea brach ab und deutete mit einer Kopfbewegung auf eine Gruppe Menschen in ihrer Nähe, die übertrieben lebhaft und mit hektischer Betriebsamkeit sprachen und lachten, ein Resultat von Schlafrepressoren und Energatoren. „Man schläft nicht, wenn man Menschen findet, mit denen man reden kann, oder andere Ablenkungen. Nach einer Weile haßt man den Schlaf, hat sogar Angst vor ihm.“
    Radu starrte auf die laute Gruppe, die jetzt mit unsicheren Schritten zum Lift ging. „Werden wir alle so wie die?“ fragte er tonlos.
    „Die meisten.“
    „Die Schlafmittel sind schlimm genug – doch sie sind notwendig, sagen sie – aber das …“ Er schüttelte den Kopf. Seine Stirn war glatt, bis auf zwei tief eingekerbte, senkrechte Falten über der Nasenwurzel, die besonders deutlich hervortraten, wenn er die Stirn runzelte.
    „Niemand zwingt Sie dazu“, sagte Laenea. Sie spürte das Bedürfnis, ihre Hand auszustrecken und ihn zu berühren. Sie hätte gern sein Gesicht gestreichelt, von den Schläfen bis zum Kinn, eine Haarlocke zurückgestrichen, die ihm im Schlaf ins Gesicht gefallen war. Aber er war irgendwie anders als alle Menschen, die sie bisher kennengelernt hatte, die sie berühren, umarmen konnte, mit denen sie sogar nach kurzer Bekanntschaft ins Bett gehen konnte, wenn ihr danach war. Radu wirkte introvertiert, ablehnend, fast geheimnisvoll, geschützt von einer unsichtbaren Mauer, die bei jedem Versuch, sie zu durchbrechen, nur noch stärker wurde. Seine Sprache, seine Haltung, alles an ihm war defensiv, reserviert.
    „Aber Sie glauben, daß ich es freiwillig tun werde“, sagte er.
    „Es gibt Ausnahmen“, räumte sie ein, weil sie spürte, daß er einen Halt brauchte; aber sie hatte auch das Gefühl, sich und ihre früheren Kollegen verteidigen zu müssen. „Wir schlafen so viel im Transit, und es ist eine so dunkle Zeit, so leer …“
    „Leer? Was ist denn mit Träumen?“
    „Ich habe nie geträumt.“
    „Ich träume immer“, sagte er. „Immer.“
    „Vielleicht wäre der Transit für mich leichter, wenn ich träumen könnte.“
    Verständnis lockte Radu ein wenig aus seiner Reserve. „Das kann ich Ihnen nachfühlen.“
    Laenea dachte an all die Gespräche mit anderen Crewmitgliedern, die sie gekannt hatte. Die lautlose Leere ihres Schlafs war die einzige Konstante all ihrer Erfahrungen. „Ich kenne keinen anderen, der träumen kann“, sagte sie. „Sie sind sehr glücklich dran.“
    Ein winziger Leuchtfisch drängte sich an die Glaswand. Laenea streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen an dem Glas entlang. Der kleine Fisch folgte fasziniert ihrer Bewegung.
    „Ich habe Hunger“, sagte sie plötzlich. „Im östlichen Stabilisator ist ein recht gutes Restaurant.“
    „Ein Restaurant? – Wo Menschen … etwas zu essen kaufen?“
    „Ja.“
    „Ich bin nicht hungrig.“
    Er war ein schlechter Lügner. Er zögerte bei seiner Ablehnung und wich Laeneas Blick aus.
    „Was haben Sie?“
    „Nichts.“ Er sah sie wieder an und lächelte. Das zumindest war die Wahrheit: Er war nicht bedrückt oder unruhig.
    „Wollen Sie die ganze Nacht über hierbleiben?“
    „Es ist schon fast Morgen.“
    „Ein Zimmer wäre angenehmer – Sie haben geschlafen.“
    Er zuckte die breiten Schultern. Sie spürte, daß ihre Worte ihn verlegen machten. Wahrscheinlich hatte er kein Geld. „Haben Sie Ihren Kredit nicht erhalten?

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