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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Jahre jünger als Laenea. Er schien genauso groß zu sein wie sie, aber das war schwer zu schätzen. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die so perfekt proportioniert waren, daß man ihre Größe nur in Relation zu anderen Dingen schätzen konnte. Nichts an ihm schien übertrieben oder überzeichnet. Seine Kraft war ein Ausdruck von Geschmeidigkeit und Lebendigkeit, nicht von Gewalttätigkeit. Laenea entschied, daß er weder betrunken noch bewußtlos war, sondern einfach friedlich schlief. Sein Gesicht war entspannt, aber nicht unkontrolliert, wie das eines Betrunkenen, oder leblos, wie bei einer medikamentös verursachten Bewußtlosigkeit. Sein Haar war dunkelblond und kraus, einen Ton heller als sein dichter Schnurrbart. Er war nicht hübsch: Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig, ausgeprägt, entsprachen aber nicht den Idealvorstellungen der Zeit. Unterhalb der Wangenknochen war die Haut mit kleinen Narben und Kratern übersät, als ob er als Kind eine schwere Krankheit durchgemacht hätte. Viele Siedlerwelten hatten ihre Epidemien noch nicht besiegt.
    Laenea wandte sich von dem jungen Mann ab und starrte wieder durch die Glaswand in das erleuchtete Meer. Ihr Spiegelbild war ein flüchtiges Trugbild vor dem strömenden Wasser. Es tauchte auf, verzerrte sich, wurde verdoppelt und verschwand. Sie fuhr mit dem Finger über die frische Narbe an ihrer Brust. Die dünne, neue Haut schien viel empfindlicher, als ob eine neue Verletzung dort mehr schmerzen würde als an anderen Stellen ihres Körpers. Laenea war müde und spürte, daß sie hungrig wurde, aber sie zwang sich, beides zu unterdrücken. Für eine Weile würden ihre Kräfte allmählich und auf natürliche Weise zurückkehren.
    Ein Monat würde ihr wie eine Ewigkeit vorkommen, genauso lang wie all die Jahre, die sie als Crewmitglied verbracht hatte. Sie war noch immer wütend auf die beiden anderen Piloten. Sie hatte das Gefühl, sich wie ein junger Hund benommen zu haben, als sie sich ihnen aufgedrängt und erwartet hatte, von ihnen gestreichelt zu werden, und als sie ihrer müde geworden waren, hatten sie sie weggestoßen, als ob sie auf den Teppich gepinkelt hätte. Sie war wütend auf sich. Sie kam sich wie eine dumme Gans vor und hatte das Bedürfnis, sich zu beweisen.
    Zum ersten Mal erkannte sie den Segen der Zeitzerstörung während des Transits, den Segen des monatelangen Schlafs. Sie mußte sich noch an ihren neuen Körper, an ihre neue Existenz gewöhnen; erst dann konnte sie sich mit ihrer neuen Umwelt befassen.
    Vielleicht war sie eingenickt. Hier unten, im Meer, gab es keine Zeit. Die Flutlichter gaben dem Wasser immer die gleiche Indigofärbung, Tag und Nacht. Die Zeit war auch für Laenea die am wenigsten reale Dimension; sie war frei von ihrer Diktatur, isoliert von ihren Forderungen.
    Als sie die Augen wieder öffnete, wußte sie nicht, für wie lange sie sie geschlossen hatte, eine Sekunde oder eine Stunde.
    Es mußten wenigstens ein paar Minuten gewesen sein, denn der junge Mann, der vorhin geschlafen hatte, saß jetzt aufgerichtet da und sah sie an. Seine Augen waren dunkelblau, von der gleichen Farbe wie das Meer. Im ersten Moment bemerkte er nicht, daß sie wach war. Dann trafen sich ihre Blicke, und er wandte sich rasch ab, verlegen darüber, sie angestarrt zu haben und dabei erwischt worden zu sein.
    „Ich habe Sie auch angestarrt“, sagte Laenea.
    Überrascht wandte er sich wieder ihr zu, nicht ganz sicher, ob Laenea ihn angesprochen hatte. „Bitte?“
    „Als ich noch beim Bodenpersonal war, habe ich die Leute von den Crews angestarrt“, sagte sie, „und als ich Crewmitglied war, starrte ich Piloten an.“
    „Ich bin von einer Crew“, sagte er verlegen.
    „Von wo?“
    „Twilight.“
    Laenea erinnerte sich, einmal auf diesem Planeten gewesen zu sein, vor langer Zeit: Bilder von Twilight zogen an ihr vorüber. Es war eine neue Welt, dunkel und geheimnisvoll, mit hohen Bergen und schwarzen, unendlichen Wäldern. Eine junge Welt, deren Gebirgskonturen gerade erst geformt zu sein schienen. Sie war von einer dicken Schicht ziehender Wolken umgeben, die zwar den größten Teil des sichtbaren Lichts zurückhielten, aber ultraviolette Strahlen hindurchließen. Twilight: eine Welt der Dämmerung; der Abenddämmerung, der anbrechenden Nacht, nicht der eines neuen Tages. Niemand, der Twilight besucht hatte, fühlte etwas anderes als anbrechende Nacht. Die Menschen, die auf diesem Planeten lebten, waren stark und ernst, stark vor allem,

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