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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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einmal das Ende des Himmels gesehen, nämlich als ich zu weit gelaufen war und der Wald aufhörte. Ich war sehr jung. Ich stand am Rande einer Felsenklippe, und um mich herum war der Wind und die Sonne. Und ich sah, daß der Himmel in einer gelblich-braunen Wolke endete. Weinend rannte ich nach Hause, ich schmeckte echte Tränen salzig auf meiner Zunge, und sie trockneten erstarrend auf meinem Gesicht. Meine Mutter tröstete mich. Sie sagte, die Wolke würde niemals näher kommen. Ich bin nie mehr dorthin gegangen, nicht einmal, als ich älter war und keine Angst mehr hätte haben dürfen.
    Ein leichter Elektroschock reißt mich aus meinen Gedanken. Irgendein Fehler ist unterlaufen. Drei von uns arbeiten nach jedem Muster, damit Fehler ausgeschaltet werden können. Ich schaue wieder konzentriert auf das Bild in meinem Hirn. Ich tue, was es mir anzeigt. Mein Fehler ist bestätigt und korrigiert. Ich kann mich meiner Bestrafung nicht entziehen, indem ich zurückweiche oder mich dagegen stemme. Es durchzuckt mich, und meine Finger verkrampfen sich. Es ist diesmal nicht allzu stark, aber wenn ich noch einen Fehler mache, wird es schlimmer werden. Ich glaube, das ist deshalb, weil sie wissen, daß ich manchmal absichtlich Fehler begehe. Die andern sagen, sie machen niemals Fehler. Ich glaube ihnen nicht. Ich hasse ihre lächerlichen Muster. Sie haben lange gebraucht, um mir beizubringen, was ich auf jede einzelne Gruppe von Linien hin zu tun hatte. Keine ist wie die andere, und ich wollte es nicht lernen.
    Als ich klein war, konnte ich im Dunkeln Figuren machen, indem ich meine Finger in die Augenwinkel drückte. Dann erschienen alle Farben; jene, die im Regenbogen sind (es ist so schwer, sich an Regenbogen zu erinnern … was war oben, Violett oder Rot?), und einige, die nicht darin sind. Die gezackten Linien, Kreise und schwebenden Geschöpfe bewegten sich und tanzten, und nachts leisteten sie mir Gesellschaft.
    Jetzt, wenn ich schlafen soll, erinnere ich mich an die Gefährten meiner Kindheit, und ich berühre meine Augen. Ich hoffe immer, daß die Farben zurückkommen und daß ich den Tag noch einmal sehen werde. Es fällt mir schwer, mich zu erinnern, wie Farben wirklich aussehen. Und so hoffe ich, aber ich berühre meine geschlossenen Augenlider und sehe nichts, und was ich fühlen kann, ist hart und tot. Kristalle, Schaltkreise und Linsen, die es mir ermöglichen, dunkle Streifen in feine Linien aufzulösen. Das alles scheint ihnen sehr wichtig zu sein. Mir bedeutet es nichts, und das macht mich wütend. Manchmal kratze ich mir nachts durch die Augen. Ich weiß, ich sollte das nicht tun …
    Einmal, als ich nach Hause kam, hörte ich Stimmen. Ich versteckte mich hinter der Hausecke und belauschte sie. Ich hörte, wie sie meine Mutter selbstsüchtig nannten. Sie sagten, wir könnten dort nicht mehr bleiben. Sie widersprach, und da schlugen sie sie nieder. Ich schrie: „Aufhören! Aufhören!“ und trommelte ihnen mit den Fäusten gegen die Brust. Sie zerrten mich fort. Ich sah meine Mutter am Boden, und ich sah, wie klein und zerbrechlich sie war. Wieder versuchte ich, nach ihnen zu schlagen, aber sie lachten mich aus und schlugen mich ebenfalls nieder, und als ich aufwachte, war ich hier, und die Welt bestand aus grauen Schatten. Ich möchte wissen, was sie mit meiner Mutter gemacht haben …
    Die Streifen aus Licht und Dunkel verschwinden. Ich höre auf. Wenn ich versuchen wollte, ohne Informationen weiterzuarbeiten, würde ich wieder bestraft werden. Es ist Zeit für die Gymnastik. Sie wollen uns gesund erhalten. Die Anschlußstücke ziehen sich aus meinen toten Augenhöhlen zurück, und der Helm hebt sich von meinem Kopf. Die Welt verwandelt sich in graue, gesichtslose, formlose Gestalten. In dieser Hinsicht ist es schlimmer als dann, wenn ich arbeite, denn die vergrößerten Muster erscheinen deutlich und klar.
    Ich drehe mich in meinem Stuhl und stehe auf. Zwei Schritte nach vorn. Der Boden beginnt zu gleiten. Beim ersten Mal, als er sich unter meinen Füßen bewegte, bin ich gefallen. Sie hatten mich davor gewarnt. Sie beobachteten mich, an meinem ersten Tag, und so bestraften sie mich. Danach bin ich nicht mehr gefallen. Der Boden bringt uns alle in einen großen Raum; die fahlen Wände wirken ein wenig grau, weil sie so weit entfernt sind, und ich höre Echos.
    Die grauen Gestalten der anderen bewegen sich ringsumher. Ich weiß, daß sie es nicht sehen können, und ich glaube nicht, daß jemand, der sehen

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