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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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der Wächter.
    „Ah“, sagte das Jungwesen befriedigt.
    „Ich bin nicht allwissend.“
    „Du würdest sehen, was wichtig ist.“
    „Auch andere wurden zurückgelassen.“
    „Sie hatten nichts, womit sie hätten überleben können. Nicht deine Kraft und auch nicht meinen Haß.“
    „Wir sind nicht so einzigartig, wie Ihr glaubt.“
    „Das hoffe ich doch“, sagte das Jungwesen. „Ich glaube, deine Vision war richtig, und deine Hoffnungen sind falsch.“
    Der Wächter richtete sich auf. Er wollte nicht mehr schlafen. „Ich werde es nie erfahren.“
    „Es würde dich schmerzen, diese Wahrheit zu kennen.“ In der Stimme schwang ein Mitgefühl, das nach diesem Frohlocken über den Tod seltsam anmutete, aber der Wächter war dankbar dafür. Er sah, wie der Schatten des Jungwesens über den Steinboden zum Eingang glitt und dort im flackernden Licht stehenblieb. Er erhob sich und folgte ihm, bis er dicht hinter ihm in seinem Schatten stand. Das Jungwesen begann zu reden, langsam und zögernd. „Als die letzten von ihnen fortzogen, folgte ich ihnen, so weit ich konnte, bis die Sonne so hell war, daß ich glaubte blind zu werden … Ich konnte sie nicht sehen, aber ich glaube nicht, daß jemand von ihnen zurückgeschaut hat.“
    „Sie haben nicht zurückgeschaut“, sagte der Wächter, und das Jungwesen fragte nicht, woher er das wußte. „Es liegt nicht in der Art unseres Volkes zurückzuschauen. Ich glaube, sie werden es auch niemals müssen.“
    „Und wenn sie es nicht tun – ist meine Entschlossenheit dann dumm?“
    Der Wächter antwortete vorsichtig, aus Angst, er könnte zu weit gehen. „Vielleicht. Oder sinnlos. Ihr würdet eher Euch selbst damit treffen und nicht sie.“
    „Ich werde … darüber nachdenken.“
    Hinter ihm nickte der Wächter. „Wollt Ihr etwas essen?“
    „Ja.“
     
    Das Jungwesen hatte das Essen nicht bemerkt, während es schlief, aber nun, da es wach war, sagte es ihm nicht mehr zu. „Ich werde hinausgehen und jagen, sobald ich wieder fliegen kann“, sagte es.
    „Ich bin daran gewöhnt. Zu Fuß ist es ein weiter Weg durch die Auroras.“
    „Besser als hierzubleiben.“
    „Auch daran bin ich gewöhnt. Aber jagt nur, wenn es das ist, was Ihr wollt.“
    „Bald?“
    „Ja. Der Flügel ist fast geheilt.“
    „Er ist noch steif.“
    „Ihr müßt aufhören, ihn zu schonen.“ Er nippte an seiner Brühe. „Ich werde ihn noch einmal massieren.“
    Die Berührungen waren wie die Bewegungen in einem Liebesspiel. Der Wächter konnte sich nicht erinnern, seit jener Nacht, in der seine Gefährtin gestorben war, außer diesem Jungwesen jemanden berührt zu haben. Sie waren geflogen. Sie war alt, aber immer noch schön, und sie hatte beschlossen zu sterben.
    Es war der Lauf der Dinge. Er hatte sie erwählt und durch seine Verbindung mit ihr seine Entscheidung getroffen, als sie erwachsen war und er, noch nicht „er“, ein Jungwesen. Ein halbes Leben zuvor hatte sie, noch nicht „sie“, einen anderen Mann umworben und sich mit ihm verbunden, und der war im Laufe der Zeit alt geworden und gestorben.
    Und jetzt wollte sie nicht in Hilflosigkeit verfallen. Sie wollte tun, was ihr Volk immer getan hatte und immer tun würde, wenn es Zeit war zu sterben. Und er würde ihre Entscheidung annehmen und ihre Schleier tragen, wie es die Gefährten der Alten immer getan hatten und immer tun würden. Ihre Kinder, ein Jungwesen und ein junger Erwachsener, hatten ihr Lebewohl gesagt. Es wären drei gewesen, aber das zweite war mit einem verkrüppelten Flügel zur Welt gekommen, und so hatten sie es ausgesetzt.
    Lange Zeit flogen sie zusammen. Keine Wolke versperrte den Blick über die Jagdgründe. Wenn sie hungrig gewesen wären, hätten sie in warmem Fleisch und frischem Blut schwelgen können, aber in dieser letzten gemeinsamen Nacht jagten sie nicht. Sie tranken dickflüssigen, salzigen Wein zusammen, und als sie emporstiegen, war ihnen schwindlig. Mit ihrer Flügelspitze streifte sie seine Wange und fiel dann zurück, abwärts, und liebkoste seine Brust und seinen Bauch. Sie lachte und machte frivole, fröhliche Bemerkungen über das nächste Glied in der langen Kette ihrer Ehen. Sie wünschte ihm Glück und zog einen silbernen Schleier aus seinem Fußreifen. Er schmückte sie mit weiteren. Trotz ihrer Gebrechen flog sie höher. Er folgte ihr. Er spürte, wie die Luft immer dünner wurde, er fühlte die Gefahr, und in Ekstase begann er plötzlich zu schreien.
    Noch nie war er so hoch

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