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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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daß es ihn ans Ziel bringt. Denk nicht mehr darüber nach. Mir geht es wieder gut.“
    „Ich hätte getan, was sie von mir verlangten, aber ich konnte es nicht. Glaubst du mir, daß ich es versucht habe?“
    „Denkst du, ich wollte dich dazu bringen, es zu tun?“ Sie berührte sein Gesicht, fühlte die Linien seines Gesichts wie eine Blinde. Sie konnte den Unterschied zwischen blonden und schwarzen Haaren in seinem schmalen Augenbrauen fühlen, wogegen seine Haut sich überall gleich anfühlte. Ihre Finger glitten von seinen Schläfen zu den Ecken seiner Unterkiefer, weiter zu den Sehnen seines Nackens und zu seiner angespannten Schultermuskulatur. „Niemand sollte hier eine Freundschaft eingehen“, sagte sie.
    Er lächelte, schloß die Augen, verstand die Ironie. „Wir würden unsere Seelen verlieren, wenn wir es nicht täten.“
    Abrupt wandte er sich ab und setzte sich auf einen großen Stein; den Kopf zwischen den Knien kämpfte er gegen die Übelkeit an. Die neuen Wunden schienen ihn nicht zu schmerzen. Er atmete ein paar Mal tief ein, dann setzte er sich langsam aufrecht.
    „Wie geht es Jason?“
    „Gut. Wiederhergestellt. Du hättest seine Schicht nicht übernehmen müssen. Die Echse konnte ihn nicht so einfach sterben lassen.“
    „Ich glaube, die Echse sammelt Todesarten.“
    Kylis erinnerte sich mit einem plötzlichen Schock wiederkehrender Furcht an Miria. „O Gott, Gryf. Welchen Sinn hat es, sie zu bekämpfen?“
    Gryf zog sie näher an sich. „Der Sinn liegt darin, daß du und Jason es nicht zulassen werdet, daß sie euch zerstören, und ich glaube, ich bin stärker als die, die mich hierherbrachten und in der Lage sind zu entscheiden, ob ich meine eigenen Fehler oder die ihren machen will.“ Er hielt ihr seine Hand hin, die in der Dunkelheit weißgefleckt aussah. Sie war lang und schmal. Kylis griff danach und liebkoste sie, seine Handgelenke, seine kräftigen Unterarme. Gryf entspannte sich leicht, doch Kylis war noch immer erfüllt von Furcht. Noch niemals zuvor hatte sie solche Angst gehabt. Aber Miria, die möglicherweise gesehen hatte, daß Gryf verletzt war, stand hinter ihren Zweifeln an einer glücklichen Zukunft.
    Gryf wurde erneut von einem Anfall geschüttelt; würgend übergab er sich. Dieses Mal konnte er es nicht unterdrücken, und die Tatsache, daß er nichts gegessen hatte, verschlimmerte alles noch. Kylis blieb bei ihm, unfähig etwas anderes zu tun als zu hoffen; wie schon unzählige Male zuvor würde er auch heute die Droge überleben. Das trockene Würgen ging in ein Husten über. Schweiß stand ihm auf dem Gesicht, der an seinen Wangen herablief. Als der Hustenanfall nachließ und sein Atem stoßweise zurückkehrte, merkte Kylis, daß er weinte. An seiner Seite kniend, versuchte sie ihn zu beruhigen. Sie wußte nicht, ob er über etwas weinte, das als Teil seiner Vision für sie verborgen blieb, oder aus Verzweiflung. Sie hielt ihn, bis der Anfall vorüber war.
    Das Licht der Sterne schien zwischen den Wolken und fügte den Farben von Gryfs Körper eine dritte Komponente hinzu. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem glatten Stein, die Hände flach dagegen gepreßt, sein Oberkörper schmiegte sich an den felsigen Untergrund. Kylis wußte, wie er sich fühlte, überlastet, überflüssig, melancholisch.
    „Kylis … ich habe noch nie so geschlafen …“
    „Ich werde bei dir bleiben.“
    Sie hoffte, daß er sie gehört hatte. Mit überkreuzten Beinen saß sie auf der weiten Oberfläche des Felsens neben ihm und betrachtete die gelegentlichen Muskelbewegungen beim Atmen. Seine grau-roten Augenbrauen waren sehr lang, feine Schweißtröpfchen hatten sich darin verfangen. Die tiefen Striemen auf seinem Rücken würden Narben hinterlassen. Auch Kylis hatte einige Striemen, doch sie fühlte, ihre Narben waren Zeichen einer Demütigung, während die seinen von Widerstand und Stolz zeugten. Sie wollte ihn berühren, doch als der Schatten ihrer Hand auf sein Gesicht fiel, zog sie den Arm zurück.
    Als sie sicher war, daß er ruhig schlief, verließ sie ihn, um in der Nähe nach antibiotischem Schimmel Ausschau zu halten. Er war selten und begehrt. Die Paste war eine wirkliche Medizin, kein Aberglaube. Der Wirkstoff des Schimmels wurde im Norden synthetisiert und exportiert. Die Erlaubnis, Brückenkopf zu verlassen, wenn auch nur für kurze Zeit, erleichterte das Leben etwas, doch dieses Privileg hatte auch noch einen anderen Zweck. Es war eine ständige Erinnerung an die

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