Feuerflut
„Ich sah dich den Zaun passieren und dort ohne Begleitung einer Wache herumlaufen. Und danach, die Echse …“
„Was wollte er von dir erzwingen?“
„Ihm ein Kind zu gebären und es ihm zu überlassen.“
Miria lehnte sich auf ihre Absätze zurück. „Die Echse 1 . Mein Gott!“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf, zeigte Sympathie für Kylis, für jeden, insbesondere für ein Kind, das unter die Kontrolle der Echse kommen sollte. Die Laterne überstrahlte die Dunkelheit und zeigte Mirias hellbraune Locken. Zum ersten Mal fielen Kylis die beiden verschiedenen Farben auf. Das helle Braun war nicht von der Sonne gebleicht, es wuchs auf natürliche Art so.
„Du bist ein Tetra, nicht wahr?“
Miria blickte auf, und Kylis wußte, sie würde nicht lügen. „Ja“, sagte sie traurig. „Zumindest war ich einer.“
„Sie ließen dich gehen?“
„Nein!“ Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihr Haar und sprach dann wesentlich sanfter weiter. „Nein. Ich war nie wie Gryf. Ich habe nie verstanden, was er wollte, bis vor wenigen Tagen, nachdem wir beide uns unterhalten haben …“ Sie tat einen tiefen Atemzug. „Ich war in einen Unfall verwickelt. Ich war unvorsichtig. Ich hatte mehr Glück als Verstand. Ich ertrank beinahe, war einige Minuten lang tot, kein Sauerstoff konnte in mein Gehirn gelangen.“ Sie sah weg und beschäftigte sich mit der Einstellung der Laterne. „Ich kann mich erinnern, wer ich war, aber ich bin nicht mehr dieselbe Person. Ich kann die Arbeit nicht erfüllen, die man mir zugedacht hat. Ich fühle mich so dumm … Ich hatte Angst, du hättest dir dasselbe angetan, dein Gehirn zerstört.“
„Ich bin in Ordnung, Miria.“ Kylis stützte sich auf ihre Ellbogen, Verwirrung und Ärger waren für einen Augenblick vergessen. „Sie haben dich hierher geschickt, weil du einen Unfall hattest? Das ist ja schrecklich.“
„Das hätten sie tun können – tun sollen, nach allem, was ich tat. Aber ich bin hier, um Gryf im Auge zu behalten.“
„Um ihn zu beschützen? Und du hast zugelassen, daß sie ihn in die Kammer brachten?“
„Du weißt genug über Gryf, um zu wissen …“ Mirias Stimme erstarb. „Ich war nicht nur hier, um sein Überleben sicherzustellen.
Ich wollte ihn dazu bringen, zu seinem Team zurückzukehren. Ich wollte dadurch … den durch mich erlittenen Verlust ausgleichen.“
„Warum sollte er für dich verantwortlich sein?“
„Weil wir uns gleich sind.“
„Miria, ich verstehe dich nicht.“
„Er hatte die gleiche Aufgabe wie ich, nur in einem anderen Team. Für wichtige Projekte werden zwei Gruppen gebildet, die voneinander getrennt arbeiten, damit die Ergebnisse der Teams überprüft und Alternativlösungen gefunden werden. Gryf ist mein Transbruder. So nennen wir Tetras mit denselben Eltern, aber in anderen Paarkonstellationen.“ Sie rieb ihren lohfarbenen Unterarm. „Er war nicht als Trans vorgesehen, doch das ist bedeutungslos für die Arbeit. Ich habe mein Team durch meinen Ausfall verkrüppelt – und ich wollte verhindern, daß er das gleiche mit dem seinen macht. Ich fühlte mich verantwortlich.“
„Und was geschieht jetzt?“
„Nun …“ Miria griff nach Kylis’ Händen. „Ich bin kein Tetra mehr, ich habe keine Stimme mehr. Aber ich habe einen Mund und werde mein Bestes tun, sie zu überreden, ihn freizulassen.“
„Miria, wenn du das kannst …“
„Vielleicht kann ich auch nicht mehr tun, als zu verhindern, daß man ihn erneut hierherbringt.“
„Warum hast du deine Meinung geändert?“
„Aufgrund unseres Gesprächs. Ich habe die gesamte Zeit, während Gryf in der Entziehungskammer war, darüber nachgedacht. Was ich ihm angetan habe, um ihn dazu zu bringen, meine Loyalität zu teilen – ich habe ihn fast umgebracht! Ich erlaubte der Echse, ihn zu quälen. Du weißt besser als ich, was das bedeutet.“
„Aber es geht ihm gut – du hast gesagt, es geht ihm gut.“
„Das stimmt“, sagte Miria rasch. „Er wird es gut überstehen. Er hat die Wirkung der Drogen neutralisiert und sich in eine tiefe Trance versetzt. Ich habe nicht gelogen. Aber ich hatte nichts mit seiner Freilassung vor seinem Tod zu tun. Ich verstehe jetzt, was geschehen ist. Nach zwei Tagen wurde mir klar, daß Gryf freigelassen werden mußte, doch die Echse ließ sich nicht blicken und antwortete nicht auf meine Eingaben. Er hoffte, deinen Willen damit zu brechen. Als er sah, daß dieser Plan mißlang, bekam er Angst, Gryf noch länger in der Kammer zu
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