Feuerflut
Staunen. Kylis sagte nichts weiter. Sie bewegte sich nicht. Die Echse gab ein Geräusch des Abscheus von sich und schlug die Tür zu. Der kühle Luftstrom versiegte.
Er kehrte nicht zurück, doch Kylis konnte nicht daran glauben, daß sie ihn geschlagen hatte.
Sie starrte durch das Fenster und hoffte, die Tetras würden kommen und ihren Freund befreien. Sie mußten erfahren, was man ihm antat. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie nicht wußten, wie eine derartige Isolation auf einen ihrer Art wirken mußte.
Sie hatte dieselbe Szenerie schon so lange betrachtet, daß es einen Moment dauerte, bis ihr die Veränderung zu Bewußtsein kam. Vier Wachen kamen und öffneten die Tür zur Entziehungskammer. Kylis stand auf und preßte ihre Hände gegen die Scheibe. Die Tür der Kammer schwang auf. Kylis erinnerte sich an den ersten Lichtschimmer, den sie gesehen hatte, als die Wärter ihr die Binde abgenommen hatten und die Anschlüsse der Schläuche und Nadeln entfernten. Gryf würde versuchen, seine schwarzgefleckten blauen Augen auf das plötzliche Licht einzustellen, blinzelnd, seine grau-roten Wimpern würden die Wangen streifen.
Die Wachen hoben ihn heraus, er bewegte sich nicht. Seine langen Arme baumelten leblos. Sie trugen ihn weg.
Kylis sank auf den Boden und zog ihre Knie an, verbarg ihr Gesicht. Als die Wachen kamen, mußten sie sie hochziehen und schütteln und schlagen, damit sie stehenblieb. Sie führten sie durch ihr umzäuntes Gelände und stießen sie durch das Tor, das sie hinter ihr wieder verschlossen. Sie sprachen nicht.
Einen Moment stand sie unentschlossen im grellen Licht der Suchscheinwerfer, dann ging sie langsam den schützenden Schatten der Nacht entgegen. Schon lange Zeit sehnte sie sich nach der Dunkelheit. Alles schien nun mit der absurden Klarheit eines Schocks mehr als real zu sein.
Sie sah Jason, noch ehe er sie hörte; er war ein verschwommener, heller Fleck am Rande des Lichts, er hatte die Knie angezogen und den Kopf gesenkt. Kylis fürchtete sich davor, zu ihm zu gehen.
„Kylis?“
Sie hielt inne. Jasons Stimme war rauh, sorgfältig unter Kontrolle, doch fast gebrochen. Sie drehte sich um und sah, wie er sie über seine überkreuzten Arme hinweg anstarrte. Seine Augen waren klar. Er erhob sich. „Ich hatte solche Angst“, sagte er. „Ich hatte solche Angst, sie würden mir euch beide nehmen, und ich müßte alleine hierbleiben.“
„Geh weg.“
„Was? Kylis, warum?“
„Gryf ist tot.“ Die Verzweiflung machte sie aggressiv. Sie wollte zu ihm hingehen und mit ihm hadern, doch sie fürchtete, sie könnte auch an seinem Tod die Schuld tragen. „Und Gryf war das einzige, was uns zusammenhielt.“
Völlig verblüfft schwieg Jason.
„Bleib weg von mir“, sagte sie und ging an ihm vorbei.
„Aber wenn Gryf tot ist, sollten wir …“
„Nein!“
„Bist du sicher, daß er tot ist? Was ist geschehen?“
„Ich bin sicher.“ Sie sah ihn nicht an.
Er legte beide Hände auf ihre Schultern. „Wir müssen hier raus, bevor sie uns ebenfalls umbringen. Wir müssen nach Norden und den Leuten klarmachen, was hier vorgeht.“
„Wahnsinn!“ Sie riß sich los.
„Tu mir das nicht an, Kylis.“
Sein Flehen durchbrach die Barrieren ihrer Schuld und ihres Kummers und auch die Angst um ihn. Sie brachte es nicht übers Herz, ihn weiter zu verletzen. Es war keine Falschheit in Jason, und es gab keinen Fehler, den man ihm zuschreiben konnte. Sein einziger Nachteil war eine Loyalität, die sie kaum verdiente. Kylis sah sich um, betrachtete die bloße Erde, die entfernten Maschinen, die dunklen, schwarzen Farne – wie fremd war ihr dies alles. Sie kehrte zurück.
„Bitte entschuldige“, sagte sie.
Sie hielten sich eng umschlungen, doch auch das spendete nicht genügend Trost. Jasons Tränen fielen kühl auf ihre Schultern, aber sie selbst konnte nicht weinen.
„Es gibt da noch mehr als Gryf und die Tetras“, sagte Jason. „Laß mich dir helfen. Erzähl mir, warum das alles geschehen ist.“
Sie schüttelte den Kopf. „Es ist gefährlich für dich, mit mir zusammen zu sein.“
Plötzlich schloß er seine Finger um ihre Arme. Verblüfft wich sie zurück, und als sie in sein Gesicht sah, erschrak sie. Sie hatte noch nie Grausamkeit in Jasons Gesicht gesehen, doch nun las sie Grausamkeit und Haß darin.
„Jason …“
„Ich werde ihn nicht umbringen“, sagte er. „Das werde ich nicht tun … laß mich gehen …“ Er sah hinunter und erkannte, daß er Kylis’
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