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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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lang, dann ließ sie sie gehen. Miria ging ins Innere des Geheges und betrat das Flugzeug. Die Maschinen heulten auf, und das Flugzeug erhob sich, um wie ein Luftkissenfahrzeug durch das Tor zu gleiten. Nachdem es die Höhe der Pflanzen übertraf, beschleunigte es und nahm Kurs gen Norden.
    Kylis sah ihm nach, bis es außer Sicht war. Sie wünschte, sie hätte Gryf noch einmal gesehen, doch nun glaubte sie Miria; sie konnte daran glauben, daß er lebte.
    Im unheimlich sanften Licht der Dämmerung erloschen die grellen Suchscheinwerfer, einer nach dem anderen, als Kylis sich auf den Rückweg machte.

 
Nur bei Nacht
     
    Nachts, wenn ich hier bin, liegen alle Babys ruhig da, mit geschlossenen Augen. Jene, die Augen haben.
    Nachts, wenn sie wegen der raunenden Zugluft auf der Station mit Laken zugedeckt sind, dann beginnen die Kinder beinahe menschlich auszusehen. Ich gehe zwischen den Krippen der verlassenen Neugeborenen und den Gitterbettchen der Älteren umher, und manchmal muß ich mich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen. Ich berühre sie sanft und versuche sie zu beruhigen. Die meisten von ihnen können nicht beruhigt werden. Sie warten alle auf den Tod. Manchmal wird eines wach, und dann liegt es da, hilflos und ohne sich zu bewegen, und starrt an die Decke. Sie weinen niemals. Ich halte sie im Arm und frage mich, ob sie die trüben Lichtpunkte an der Decke wohl für Sterne halten.
    Heute nacht sind die meisten Kinder wach. Vielleicht liegt es an der Hitze; sie ist zu stark für die Klimaanlage. Ich tue, was ich kann; ich berühre sie, wechsle ihre Windeln (wenn ich zu viele verbrauche, bekomme ich eine Abmahnung), und ich biete ihnen Wasser an. Ich wollte, ich wäre nicht hier. Es ist zu still, die Luft ist zu schwer, und es ist niemand da, mit dem man reden könnte. Auf anderen Stationen wird manchmal eines wach und muß sich versichern, daß jemand bei ihm ist, um wieder einschlafen zu können. Oder ich erzähle einem Kind flüsternd eine Geschichte, und wenn ich eine Zeile verändere, wird es mich verbessern, bis wir beide zu kichern anfangen, und wenn wir versuchen aufzuhören, müssen wir nur noch mehr lachen. Aber diese Kinder hier brauchen keine Gutenacht-Geschichten. Eine Schallplatte mit sinnlosem Gestammel würde dieselben Dienste tun. Sie brauchen mich nicht. Wenn man ihnen immer schon Liebe gegeben hätte, wären sie jetzt vielleicht in der Lage, sie zu wollen und anzunehmen, aber alles, was sie brauchen, ist, gefüttert und gewaschen zu werden, und ein trockenes Plätzchen. Für sie bin ich ein Automat, aufgezogen und eingestellt, um sie zu versorgen.
    Ich wollte, ich wäre nachts nicht hier, aber die andern sind schon länger da und kommen lieber tagsüber. Wenn das fahle Sonnenlicht hereinsickert, setzen sie die Kinder auf den Boden, und dort rutschen sie mit ihren Gliederstummeln umher, wie hirnlose Kriechtiere, die zum ersten Mal über das Land herfallen.
    Ich nehme ein Mädchen auf, ganz sanft, denn ihr Schädel ist niemals zugewachsen. Oben auf ihrem Kopf ist eine weiche Delle, wie Haut auf einer erkalteten Suppe. Ich singe, mehr für mich als für sie. Sie ist taub.
    Sie sieht mich an. Meine Stimme erstirbt, und sie zwinkert, als wäre sie enttäuscht, daß ich aufgehört habe. Haben alle Babys blaue Augen? Ich weiß, daß ich meine eigenen Gedanken, meine Traurigkeit und Ängste in ihren Blick lege. Sie denkt nicht; sie kann es nicht. Keins von ihnen kann es. Aber da ist mehr hinter ihren Augen als nur diese wunschlose Leere. Ich lege sie zurück in ihre Krippe und gehe weiter.
    Ich frage mich, ob ihre Eltern sie alle vergessen haben. Es muß wohl so sein. Sie kommen kaum jemals her … . Ich wäre dumm, wenn ich das glaubte. Ihre Eltern erinnern sich nur zu gut an sie, in jeder Sekunde eines jeden Tages, und das ist der Grund, weshalb sie nicht kommen. Sie haben Monster hervorgebracht, und sie haben Angst zu versuchen, sie zu lieben. Sie sind perfekte Leute, die ihre Fehler verbergen. Wenn sie ihr deformiertes Kind sehen, bevor man es fortbringt (und ich habe die Eltern gesehen – sie können es sich nicht verkneifen, einmal schuldbewußt zwischen den Fingern hindurchzublinzeln, als wären sie in einem Monstrositätenkabinett), dann rufen sie: „O Gott, warum ich?“ und dann gehen sie.
    Die Kinder sind unruhig. Jene, die sich bewegen können, rascheln mit ihren Laken. Jene, die Glieder haben, wedeln damit. Verzerrte Finger ergreifen eine Handvoll Luft und öffnen sich wieder.

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