Feuerflut
ansehen.«
Painter hatte wenig Lust dazu, doch Hank forderte ihn mit energischen Handbewegungen auf, zu ihm herabzuklettern.
»Na schön«, sagte Painter und wandte sich an seinen Teamkollegen. »Kowalski, befestigen Sie ein Seil, und werfen Sie uns das Ende zu.«
Als der Hüne gegangen war, drehte Painter sich um und ließ sich geschmeidig in den eisgefüllten Raum hinab. »Was haben Sie entdeckt, Doc?«
Hank schwenkte den Arm. »Das ist die kiva, der spirituelle Mittelpunkt jeder Anasazi-Siedlung. Man könnte auch sagen, ihre Kirche.« Er leuchtete nach oben. »Die haben sie in solchen Brunnen gebaut. Das Loch, in das ich hineingefallen bin, nennt man sipapa; für die Anasazi war dies der mythische Ort, an dem ihr Volk in die Welt trat.«
»Okay, aber wozu die Katechismusstunde?«
»Damit Sie verstehen, was sie hier verehrt, beziehungsweise als Göttergabe aufbewahrt haben.« Er schwenkte die Taschenlampe herum und leuchtete in den großen Alkoven. »Ich glaube, das hier könnte der Gegenstand sein, den die Diebe den Tawtsee’untsaw Pootseev entwendet haben und der zum Untergang der Anasazi geführt hat.«
17:06
Painter näherte sich der Wandnische und leuchtete ebenfalls hinein. Nicht dass der darin befindliche Gegenstand einer zusätzlichen Beleuchtung bedurft hätte. Er glänzte hell und makellos, nur mit einer dünnen Eisschicht bedeckt.
Erstaunlich …
In der Nische stand ein goldenes, knapp fünfzig Zentimeter hohes Gefäß, den Deckel zierte ein Wolfskopf. Der kleine Kopf war kunstvoll gearbeitet, angefangen von den aufgestellten Ohren bis zur buschigen Mähne. Selbst die Augen wirkten so lebendig, als würden sie jeden Moment blinzeln.
Painter beleuchtete die schon vertrauten Buchstaben, die sich in akkuraten, gleichmäßigen Zeilen über die Vorderseite zogen.
»Das ist die gleiche Schrift wie auf den Goldtafeln«, sagte Painter.
Hank nickte. »Das ist der Beweis, dass dieses Totem einmal den Tawtsee’untsaw Pootseev gehört hat, meinen Sie nicht auch? Und dass die Anasazi es aus ihrem Versteck gestohlen haben.«
»Schon möglich«, murmelte Painter. »Aber was ist mit dem Gefäß? Täusche ich mich, oder gleicht das den Vasen, in denen die alten Ägypter die Organe der Toten aufbewahrt haben?«
»Sie meinen die Kanopen«, sagte Hank.
»Genau. Aber auf der hier ist ein Wolfskopf dargestellt.«
»Die Ägypter haben ihre Totengefäße mit den Köpfen der bei ihnen vorkommenden Tiere geschmückt. Wenn diese Kanope in Amerika angefertigt wurde, ist es nur logisch, dass hier ein Wolf dargestellt ist. Wölfe galten als mächtige Totems.«
»Aber widerspricht das nicht Ihrer Theorie über die Tawtsee’untsaw Pootseev? Ist das nicht angeblich der Verlorene Stamm Israels, von dem im Buch Mormon die Rede ist?«
»Nein, das widerlegt meine Theorie keineswegs.« Der Professor hob vor Erregung die Stimme. »Eher wird sie durch den Fund gestützt.«
»Wie das?«
Hank legte die Hände auf den Mund, um seinen Überschwang zu zügeln. Er machte den Eindruck, als wollte er auf die Knie niederfallen. »Unserem heiligen Buch zufolge war die Inschrift der Goldtafeln, die Joseph Smith übersetzt hat, in reformiertem Ägyptisch verfasst. Buch Mormon, Kapitel neun, Vers zweiunddreißig: Und nun siehe, wir haben diesen Bericht geschrieben gemäß unserer Kenntnis, in der Schrift, die wir unter uns reformiertes Ägyptisch nennen, überliefert und von uns gemäß unserer Sprechweise abgeändert. «
Hank wandte sich an Painter. »Aber bislang hat noch niemand diese Schrift mit eigenen Augen gesehen«, sagte er, »denn die Originaltafeln verschwanden, nachdem Joseph Smith sie übersetzt hatte. Es heißt, der Engel Moroni habe sie wieder an sich genommen. Über die Schrift wissen wir nur, dass es sich um eine Form des Hebräischen gehandelt haben soll, um eine Variante, die sich angeblich entwickelt hat, nachdem der Stamm das Heilige Land verlassen hatte.«
»Weshalb bezeichnet man die Schrift dann als Ägyptisch? Ob reformiert oder sonst was.«
»Ich glaube, die Antwort ist hier zu finden.« Hank zeigte auf die Kanope. »Wir wissen, dass die Stämme Israels durch komplizierte Verwandtschaftsbande mit Ägypten verbunden waren. Wie ich schon sagte, geht die früheste Darstellung des Symbols von Halbmond und Stern auf die alten Moabiter zurück, die sowohl mit den Israeliten als auch mit den Ägyptern verwandt waren. Als der Verlorene Stamm nach Amerika gelangte, brachte er ein Erbe mit, das in beiden Welten
Weitere Kostenlose Bücher