Feuerflut
rückte so dicht an sie heran, als wollte er seinen Worten körperlich Nachdruck verleihen. »Kurz nach der Entdeckung hat man die in der Höhle entdeckten Mumien untersucht. Verschiedene Indianerorganisationen haben Ansprüche geltend gemacht, aber deren Zuständigkeit ist fraglich, da die menschlichen Überreste von Europiden zu stammen scheinen.«
»Das waren Europide?«
»Bleichhäutige Indianer« , zitierte Gray. »Wenn bleichhäutige Indianer für die Gilde – Franklins alten Feind – schon in der Vergangenheit ein Thema waren, ist es nicht erstaunlich, dass eine Höhle voller Mumien samt deren Relikten ihr Interesse weckt. Franklin und Jefferson haben seinerzeit offenbar nach etwas Bestimmtem gesucht, von dem sie glaubten, es könne den Fortbestand des jungen Staatenbundes gefährden. Und ihr Feind war anscheinend ebenfalls dahinter her.«
»Und wenn Sie richtigliegen, gilt das noch immer«, setzte Seichan hinzu. »Was meinen Sie? Steckt die Gilde hinter der Explosion in Utah?«
»Das glaube ich nicht. Auf jeden Fall muss ich Direktor Crowe informieren. Wenn ich mich nicht irre, steht er im Begriff, in einen schon Jahrhunderte währenden Krieg verwickelt zu werden.«
13
30. Mai, 23:33
Provo, Utah
ALS IHRE AUGEN sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, entzog Kai ihrem Onkel ihre Hand. Der schwache Lichtschimmer der Notbeleuchtung fiel aus dem Flur herein.
Sie ließ den Blick durch das labyrinthische Labor schweifen, alle Muskeln fluchtbereit angespannt. Den Fluchtreflex hatte sie verinnerlicht. Bei ihren Pflegefamilien hatte sie gelernt, auf Warnzeichen zu achten. Für sie war es überlebenswichtig gewesen, in Familien, in denen sie unerwünscht oder nur geduldet gewesen war, Stimmungen zu erspüren und sich je nachdem aus dem Staub zu machen oder die Stellung zu halten.
Professor Kanosh, der sich hingekniet hatte, um seinen Hund zu beruhigen, richtete sich wieder auf. »Vielleicht ist das ja nur ein ganz gewöhnlicher Stromausfall«, meinte er.
Kai wollte ihm gern glauben, ahnte aber, dass seine Hoffnung trog. Sie blickte Hilfe suchend ihren Onkel an.
Painter nahm den Hörer eines Schreibtischtelefons ab. Vor Kais geistigem Auge blitzte das Bild eines Indianers auf, der sein Ohr an den Boden legte und nach Gefahrensignalen horchte. Das hier war die moderne Version dieses alten Stereotyps.
»Kein Freizeichen«, sagte er und legte wieder auf. »Jemand hat die Leitungen gekappt.«
Kai schlang die Arme um die Brust. Hoffnung ade …
Painter wandte sich an seinen Begleiter und zeigte zum Eingang. »Kowalski, sichern Sie den Flur. Verbarrikadieren Sie notfalls die Tür.«
Der Hüne ging zum Ausgang und schlug den Mantel auseinander. Darunter kam ein Gewehr zum Vorschein, das an seinem Bein festgeschnallt war. Kai war mit ihrem Vater auf die Jagd gegangen und kannte sich deshalb mit Gewehren aus. Diese Waffe aber sah merkwürdig aus, besonders die Zusatzmunition am Kolben. Die Patronen liefen am Ende in Dornen aus. Der Anblick der Waffe aber ließ die Gefahr auf einmal greifbar erscheinen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, ihre Sinne waren zum Zerreißen angespannt.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Denton.
»Wir sollten uns verstecken!«, platzte Kai heraus und wehrte sich gegen ein Zittern, das sie zu Boden zu werfen drohte. Sie machte einen Schritt nach vorn, spähte in die Dunkelheit.
Painter legte eine Hand auf ihre Schulter und hielt sie zurück.
»Verstecken bringt nichts«, erklärte er. »Offenbar hat man euch beobachtet, euren Weg bis hierher verfolgt und ein Einsatzteam vor Ort gebracht, das dich ergreifen soll. Die werden das Gebäude durchsuchen, bis sie dich gefunden haben. Allerdings dürfte es einige Zeit dauern, bis sie das Hauptgebäude durchkämmt haben und sich den Keller vornehmen. Bis dahin müssen wir einen anderen Ausgang gefunden haben.«
Kai blickte nach oben und stellte sich die Erdschicht vor, die das Labor bedeckte. »Wie wär’s mit der Decke?«, stürzte sie sich auf den erstbesten Strohhalm.
Painter drückte ihr anerkennend die Schulter. Augenblicklich kehrte wieder ein wenig Kraft in ihre Beine zurück.
»Was ist damit?«, wandte er sich an die beiden Professoren. »Gibt es Lüftungsschächte? Wartungstunnel?«
»Tut mir leid«, sagte Denton mit bebender Stimme. »Ich kenne die Baupläne des Instituts. Da gibt es nichts dergleichen. Jedenfalls nichts, wo man durchkriechen könnte. Über unseren Köpfen befindet sich eine dreißig Zentimeter dicke Schicht
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