Feuerflut
suchten nach einem Halt und warteten darauf, dass der beängstigende Sinkflug aufhörte. Das tat er nicht. Gray blickte aus der offenen Luke. Der berstende Inselboden hob sich ihnen entgegen. In den tieferen Rissen leuchtete flüssiges Magma und weckte böse Vorahnungen.
Der Hubschrauber begann, sich langsam zu drehen. Seichan streckte den Kopf aus dem Cockpit hervor. »Der Heckrotor hat einen massiven Druckabfall!«, rief sie, dann sprach sie aus, was alle schon wussten: »Wir stürzen ab!«
21
31. Mai, 9:05
San Rafael Swell, Utah
KAI STAND AUF der schattigen Veranda. Sie knabberte geröstete Pinienkerne und schwelgte in deren salzigem, aromatischem Geschmack. Iris hatte die Samen selbst gesammelt. Sie war noch drinnen und schwenkte eine Pfanne mit Kernen über dem offenen Feuer, um sie anschließend zu mahlen.
Iris hatte ihr gezeigt, wie man verhinderte, dass die Kerne verbrannten, doch Kai hatte gemerkt, dass die alte Hopi-Frau sie nur ablenken wollte. Sie blickte der kleinen Staubwolke nach, die sich immer weiter entfernte. Painter und die anderen hatten nicht lange gefackelt. Sie hatten ihre Ausrüstung eingeladen und waren in dem gemieteten SUV losgefahren. Sogar den Hund hatten sie mitgenommen.
Kai nicht.
Sie hatte sich beherrscht, denn es hätte nichts genützt, wenn sie wütend geworden wäre. Der Zorn aber lag ihr noch immer schwer im Magen. Mit ihr hatte überhaupt erst alles angefangen. Es stand ihr zu, bis zum Ende dabei zu sein. Die anderen sagten ständig, sie müsse die Folgen ihres Handelns tragen wie eine Frau, behandelten sie gleichzeitig aber wie ein Kind.
Sie steckte sich den nächsten Pinienkern in den Mund, zermalmte ihn zwischen den Zähnen. Sie war es gewohnt, zurückgelassen zu werden. Weshalb sollte es auf einmal anders sein? Weshalb hätte sie von ihrem Onkel mehr erwarten sollen?
Doch genau das hatte sie getan.
»Dieser Bursche ist ganz schön krass.«
Kai wandte sich zu Jordan Appawora um, der im Türrahmen stand. Er hatte den Anzug abgelegt und trug jetzt Cowboystiefel, ein ausgewaschenes blaues T-Shirt und eine schwarze Jeans, die von einem Gürtel mit silberner Schnalle in Form eines Büffelkopfs gehalten wurde.
»Painter Crowe ist dein Onkel?«
»Zweiten Grades.« Im Moment hätte es ihr nichts ausgemacht, die verwandtschaftlichen Bande vollständig zu kappen.
Jordan trat zu ihr auf die Veranda. In der einen Hand hielt er einen Cowboyhut, in der anderen dampfende Pinienkerne, die er abzukühlen versuchte. Offenbar hatte er sie geradewegs aus Iris’ Pfanne stibitzt. Als sie ihn ansah, schnipste er sich einen Kern in den Mund.
»Auf Paiute nennt man sie toovuts« , sagte er und kaute weiter. »Willst du wissen, wie man sie auf Hopi nennt?«
Kai schüttelte den Kopf.
»Wie wär’s dann mit Navajo oder Arapaho?«, sagte er und grinste. Er kam näher. »Unsere Gastgeberin ist anscheinend willens, ihr gesamtes Wissen über Pinienkerne preiszugeben. Wusstest du, dass das Harz der Bäume früher als Kaugummi diente und auf Wunden aufgetragen wurde? Das klebrige Zeug war anscheinend das Trident und Neosporin der Alten Welt.«
Damit er ihr Grinsen nicht sah, drehte sie den Kopf weg.
»Ich musste da raus«, flüsterte er verschwörerisch, »sonst hätte sie mir noch den Regentanz der Hopi beigebracht.«
»Sie möchte sich nur nützlich machen«, sagte Kai, konnte ein Schmunzeln aber nicht unterdrücken.
»Und was fangen wir jetzt an?«, meinte Jordan und setzte sich den Cowboyhut auf. »Wir könnten eine Wanderung zum Three Finger Canyon unternehmen. Vielleicht haben Alvins Enkel auch ihre Mountainbikes hiergelassen … oder wir fahren zur Black Dragon Rinne.«
Sie musterte ihn, versuchte seine Absichten zu ergründen. Sein sonnengebräuntes Gesicht mit den hohen Wangenknochen, die seine dunklen Augen zur Geltung brachten, wirkte unschuldig und offen. Doch sie hatte den Verdacht, dass es ihm nicht nur um einen Ausflug zu tun war. Dafür hatte sie ihn schon zu oft dabei ertappt, dass er sie anstarrte. Ihre Wangen röteten sich, und sie wandte sich zur offenen Tür. Es gab schon jemanden, der sich für sie interessierte und an dem ihr etwas lag.
Sie dachte an Chayton Shaw und ihre Freunde von WAHYA. Es wäre ihr wie Verrat vorgekommen, wenn sie sich mit Jordan eingelassen hätte. Sie hatte sich auch so schon genug Schande bereitet. Die E-Mail von John Hawkes machte ihr noch immer schwer zu schaffen.
»Ich bleibe lieber hier«, sagte sie. »Für den Fall, dass mein Onkel
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